Zahnärzte für Niedersachsen
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Eine Frage der Ehre

14. Januar 2019 9:00

Ehrverletzung als politisches Stilmittel

Zugegeben, der Begriff „Ehre” ist in seiner Deutung problematisch, historisch belastet und scheint im Übrigen aus der Zeit gefallen zu sein. Er richtet sich im Idealfall nicht gegen andere oder Andersdenkende, sondern beinhaltet nichts anderes als die Wertschätzung durch andere Menschen. Es geht um eine Mischung aus Selbstachtung und Achtung durch andere, formulierte der Historiker Professor Winfried Speitkamp.

Doch was hat der Ehrbegriff mit der ärztlichen Profession zu tun? Im Prinzip wenig; denn ärztliches Handeln ist eher mit dem Begriff des Ethos verbunden. Selbst dann, wenn sich die Begriffe Ethik und Monetik gelegentlich gefährlich nahe kommen. Es ist aber der letztere Begriff, der, wenn er bewusst in den Vordergrund gerückt wird, ehrverletzenden Charakter besitzt. Und wenn andererseits von ärztlicher Seite der Faktor „Geld” verschämt unterdrückt wird, dann ist auch das falsch: Natürlich geht es auch um Geld; denn niemand kann, wenn er nicht alimentiert wird, einen Praxisbetrieb einrichten und hobbymäßig führen, und Ärzte haben ein Anrecht auf Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg einer Gesellschaft – und das ist weder peinlich, noch steht der Wunsch im Gegensatz zur berufsspezifischen Ethik.

Ehrverletzung als politisches Stilmittel

Die Ehrverletzung eines Berufsstandes wird seit Jahrzehnten insbesondere durch Politiker und gelegentlich durch Funktionsträger von Krankenkassen befeuert und als Argumentationshilfe für die Durchsetzung eigener Vorstellungen benutzt. Brutaler formuliert: Bestimmte Politiker denunzieren einen in der Bevölkerung hoch angesehenen Berufsstand mit Vorsatz, um vom eigenen Unvermögen und den sich daraus ergebenden Fehlentwicklungen abzulenken. Der auf das Wesentliche verkürzte Vorwurf: Zu wohlhabend, arbeitsscheu – und das bei schlechter Ergebnisleistung.

Dass die politischen Entscheidungsträger, demokratisch legitimiert, „Stärkungsgesetze” mit ihren strukturellen Eingriffen in die ärztliche Berufsausübung im Halbjahrestakt gebären, muss der Berufsstand hinnehmen. Das verlangt die Demokratie, in der wir leben dürfen. Glücklicherweise bleibt es den derart Denunzierten aber (noch) unbenommen, sich zu Wort zu melden, wobei die Lautstärke durchaus steigerungsfähig sein dürfte.

Zurück zum Ehrbegriff. Nachdem über mehr als ein Jahrzehnt Ärzte und insbesondere Zahnärzte als angebliche „Spitzenverdiener der Nation” herhalten mussten und Medienvertreter ihre Kenntnislosigkeit in diesem Punkt gelegentlich noch heute offenbaren, hat sich die Politik der großen Volksparteien aktuell auf den Arzt als „arbeitsscheuen Golfspieler” eingeschossen, der seine Patienten beidhändig über den blankpolierten Tisch zieht. Hatte zunächst am Ende seiner Amtszeit der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, kräftig gegen die Vertragsärzte ausgeholt und längere Praxisöffnungszeiten verlangt, sekundierte ihm Genosse Lauterbach, Hochschullehrer, praxisferner Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der Sozialdemokratie. „Der eine oder andere Arzt wird am Mittwochnachmittag auf dem Golfplatz gesehen”, entfuhr es dem Spahn-Intimus. Natürlich war das keine beiläufige Erklärung, sondern ein Statement; denn ein verantwortlicher und einflussreicher Politiker muss wissen, welche Wirkung sein Wort entfaltet und welchen Blick es zugleich auf sein Innenleben preisgibt. Da war es nur verständlich, dass der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen konterte, dass Ärzte im Schnitt 52 Wochenstunden arbeiten. Und er ergänzte mit der Feststellung, dass den Ärzten durch Honorarbudgetierung fast 15 % der erbrachten Leistungen nicht bezahlt würden. Sein Fazit: „Bei der ständigen Zechprellerei jetzt noch eine Serviceangebotserweiterung zu fordern, ist einfach nur dreist und frech”. Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery legte zutreffend nach und hielt fest: „Statt Polemik brauchen wir praxistaugliche Reformen. Wer Versorgungsengpässe vermeiden will, sollte sich für mehr ärztlichen Nachwuchs und attraktive Arbeitsbedingungen einsetzen”. Damit hatte er ein Grundproblem unseres Gesundheitssystems benannt: Den mangelnden Nachwuchs an Ärzten und pflegendem Personal als Ergebnis einer gesundheitspolitischen Fehlplanung über viele Legislaturperioden. Die ärztliche Ausbildung an den Universitäten wurde politisch ausgebremst – wohl in der irrigen und kurzsichtigen Annahme, dass mit der Begrenzung der Arztzahlen auch eine Begrenzung der Ausgaben verbunden sei. Das entstandene ärztliche Vakuum wird inzwischen mit Ärzten aus Ländern östlich des 27. Längengrades gefüllt und, wenn man den Vorstellungen des Gesundheitsministers folgt, Pflegekräfte ausgerechnet aus jenen Ländern abgeworben, die mit eigenen Mängeln der medizinischen Infrastruktur zu kämpfen haben. Das hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern zeugt von politischer Kurzsichtigkeit mit konsequenter Fehlentwicklung, die sich in erster Linie an Wahlperioden orientiert. Jens Spahn setzt aktuell sein Ideen-Feuerwerk fort, indem er die Abwanderung deutscher Ärzte und Pfleger in die Schweiz und andere Länder mithilfe neuer EU-Regeln eindämmen möchte. Wie das, fragt man sich. Möglicherweise mit einem „Gutes Auswanderungsverhinderungsstärkungsgesetz”?

Wachstum mit Schlagseite

Während der Wunsch nach fortdauerndem wirtschaftlichem „Wachstum” bei nahezu allen Politikschaffenden verfestigt ist und vornehmlich der Industrie und dem Handel gilt, wird das notwendige Wachstum im Bereich des Gesundheitswesens eher als Bedrohung und Belastung empfunden. Eine Fehleinschätzung angesichts von 5,5 Millionen (2016) Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen und ihrem Beitrag zur Wirtschaftsleistung.

Minister Spahn lässt keinen Tag aus, um die Digitalisierung um jeden Preis, und das ist wörtlich zu nehmen, zu fordern. Er setzt die traurige Tradition der „Stärkungsgesetze” fort, die in der Regel unter Missbrauch des Begriffs „Stärkung” mit weiteren Restriktionen und Gängelungen für den ärztlichen Berufsstand verbunden sind. Der Gesundheitsmarkt beschränkt sich nach Spahn´scher Lesart derzeit auf die Förderung der Umsätze der Digital-Industrie und der Hard- und Software-Lieferanten, während der Faktor Mensch und die ärztliche und pflegerische Leistungserbringung eher als einzugrenzender Faktor gesehen wird. So erweist sich die hingenommene Überlastung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen letztlich auch als Mangel an „Ehrerweisung” durch die Politiktreibenden.

Nebelkerze Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)

Auf der Basis jahrelanger Fehlsteuerung entpuppt sich eine weitere Kreation aus dem Hause Spahn als Nebelkerze: Das „Terminservice- und Versorgungsgesetz”, das schnellere Termine, mehr Sprechstunden und bessere Angebote für gesetzlich Versicherte aus dem Hut zaubern soll. Angesichts der begrenzten Personaldecke liegt der Gedanke an ein „Hütchenspiel” nahe. Den Überlegungen des BMG liegt offenbar die irrige Meinung zugrunde, dass Ärzte ihren gesetzlich versicherten Patienten lediglich mit 20 Wochenstunden zur Verfügung stehen und man daher nur die Pflichtstundenzahl auf 25 Stunden gesetzlich heraufsetzen müsse, um Wartezeiten zu vermeiden – welch eine Offenbarung an Unkenntnis! Und als Sekundant empfiehlt sich jetzt der Vorstand der „Deutsche Stiftung Patientenschutz”, Eugen Brysch, der eine engmaschige Kontrolle der Sprechzeiten in den Praxen fordert, sobald das TSVG in Kraft getreten ist. Nötig sei zudem ein für alle abrufbares Berichtswesen dazu, zitiert ihn der Ärztliche Nachrichtendienst. Arztpraxen mit Stempeluhr – eine staatlich geförderte Missachtung eines Berufsstandes auf der Basis des TSVG?

Und die Organisation und der Betrieb von Terminvergabestellen wird der Einfachheit halber an die KVen mit der Maßgabe delegiert: „Die Kassenärztliche Bundesvereinigung regelt in Richtlinien Näheres zur einheitlichen Umsetzung durch Kassenärztliche Vereinigungen”. Das ist eine gängige Praxis im Betrieb der deutschen Gesundheitsgesetzgebung: Die Politik formuliert immer neue Konstrukte, die die Selbstverwaltung, die diesen Namen zunehmend nicht mehr verdient, selbstfinanzierend umzusetzen hat.

Staatsmedizin vorprogrammiert?

Indem sich Spahn durch einen Änderungsantrag zum TSVG aktuell über den Kopf des „Gemeinsamen Bundesausschusses” hinweg direkt in das Therapieversprechen (Liposuktion als Kassenleistung) einschalten möchte, hat er nun den Zorn des Vorsitzenden des G-BA, Prof. Hecken, provoziert: „Mit einer solchen Ermächtigung wäre der Weg in die Beliebigkeit und Staatsmedizin vorprogrammiert – dies wäre ein vollständiger Systembruch!”. Damit liege ein völlig systemfremder, überzogener und unangemessener Vorschlag in Gestalt einer Verordnungsermächtigung auf dem Tisch, zitiert ihn der Ärztliche Nachrichtendienst.

Aus alledem kristallisiert sich der unaufhaltsame Gestaltungsanspruch des Ministers auf Kosten und unter Missachtung aller Beteiligten des Gesundheitswesens heraus. Ein populistisches Versprechen folgt dem anderen, um dem Wähler zu gefallen – allerdings ohne die Auswirkungen bis zum Ende zu denken oder gar die Leistungsträger an einer vorangestellten ergebnisoffenen Diskussion umfänglich zu beteiligen.

Die Methode, dem ärztlichen Berufsstand ehrabschneidend „auf die Pelle” zu rücken, mag beim unwissenden Bürger Simplex momentan Zustimmung erzeugen – dem Land und seinen Menschen allerdings ist diese Realitätsverweigerung längerfristig nicht dienlich.

Debattenkultur geht anders!

Gerne führt Minister Spahn das Wort „Debatte” bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Munde, während sein dynamischer Politikstil nach dem Motto verfährt „Entweder macht ihr das, oder ich regele das!” Will heißen: Eure Expertise interessiert mich nicht wirklich. Debatte geht anders! Nach dem vorübergehenden Höhenflug des jungdynamischen Jens Spahn dürfte er nun ein weiteres Feuerwerk an „Stärkungsgesetzen” abbrennen.

Für den ärztlichen Berufsstand sowie für das pflegende Personal besteht aber nach wie vor ein Anspruch auf Ehre im Sinne von Achtung und Selbstachtung!

Dr. Michael Loewener, Wedemark
Zahnärzte für Niedersachsen – ZfN

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