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Statistische Wahrscheinlichkeitsangaben im Aufklärungsgespräch

Ärztliche und zahnärztliche Heileingriffe bedürfen grundsätzlich der Einwilligung des Patienten (§ 630d BGB). Eine wirksame Einwilligung setzt eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus (§ 630 e BGB). Der Patient muss die Chancen und Risiken des Eingriffs „im Großen und Ganzen” verstehen und eine allgemeine Vorstellung über das Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren und Risiken vermittelt erhalten, ohne dass etwas beschönigt oder verschlimmert wird.

Die Aufklärung muss mündlich erfolgen (§ 630 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Zur Unterstützung können und werden immer häufiger Aufklärungsbögen zusätzlich verwendet.

Schwierig zu beantworten ist immer wieder die Frage, über welche -äußerst seltenen- Risiken aufzuklären ist bzw. wie detailliert der Patient über die Häufigkeit von Risiken aufzuklären ist. Wie häufig ist z.B. das Risiko, wenn in einer mündlichen Aufklärung bzw. in einem Aufklärungsbogen das Wort „gelegentlich” verwendet wird. Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung am 29.01.2019, AZ: VI ZR 117/18, auseinandergesetzt. Der Kläger war vor dem Eingriff darüber aufgeklärt worden, dass es „gelegentlich” zu einer Lockerung der Knieprothese kommen kann. Im gerichtlichen Verfahren führte der Gutachter aus, dass es in 8,71 % der Fälle zu einer solchen Lockerung kommt. Dies sei, so führte der Kläger aus, nicht mehr „gelegentlich”. Er begründete dies mit dem MeDRA (Sammlung von standardisierten medizinischen Begriffen, die von dem International Council for Harmonisation of Technical Requirements für Pharmaceuticals for Human Use (ICH) herausgegeben wird). Hiernach werde „gelegentlich” mit einer Häufigkeit von 0,1 % bis 1 % definiert. Eine Häufigkeit von 8,71 % sei nicht „gelegentlich”, sondern „häufig”. Dieser Ansicht des Klägers ist der BGH nicht gefolgt.

Der Behandler müsse sich nicht an die gebräuchliche Häufigkeitsdefinition des MeDRA orientieren, der für Arzneimittel verwendet wird. Die Aufklärung müsse, so der BGH, für den Patienten inhaltlich und sprachlich verständlich sein, wobei es auf die individuelle Verständnismöglichkeit des Patienten ankommt. Bestünden keine Besonderheiten, so sei auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückzugreifen. Das Wort „gelegentlich” beschreibe dabei eine gewisse Häufigkeit, die größer als „selten” und kleiner als „häufig” sei. Vor diesem Hintergrund falle eine Häufigkeit von 8,71 %, d.h. eine statistische Häufigkeit im einstelligen Prozentbereich, nach Auffassung des BGH noch unter dem Begriff „gelegentlich”.

Für ein Aufklärungsgespräch bedeutet dies, dass der Arzt/Zahnarzt nicht mit Prozentzahlen operieren müsse, sondern durchaus auch allgemeine Begriffe, wie „selten”, „gelegentlich” und „häufig” verwenden könne. Die Angaben von statistischen Wahrscheinlichkeiten sind auch wegen der unterschiedlichen Bewertungen und der Fragwürdigkeit von wissenschaftlich begründeten Methoden für den Arzt / Zahnarzt nicht ungefährlich. Derartige Werte sind zumeist branchenüblich gestaltet und nicht unbedingt generalisierbar.

Der Patient ist so aufzuklären, dass er im „großen und ganzen” nachvollziehen kann, welcher Eingriff durchgeführt werden soll und welche Risiken damit verbunden sind. Ein häufiges Risiko darf nicht heruntergespielt werden; über ein seltenes schwerwiegendes Risiko muss aufgeklärt werden, es muss aber auch nicht dramatisiert werden und kann durchaus als seltenes Risiko bezeichnet werden. Gleiches gilt für schriftliche Aufklärungsbögen. Damit wird dem allgemeinen Sprachgebrauch entscheidende Bedeutung beigemessen und nicht entweder bestehenden statistischen Erwägungen.

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