Ärztliches Instrumentarium = gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 StGB?
Mit dieser Frage hat sich das OLG Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 16.03.2022, AZ: 1 Ws 47/22, beschäftigt:
Ein Zahnarzt hatte in mehreren Fällen seinen Patientinnen und Patienten die Extraktion von Zähnen empfohlen. Im Vertrauen auf die Angaben des Zahnarztes hatten die Patientinnen und Patienten in die Extraktion eingewilligt, und der Zahnarzt hatte daraufhin unter Verwendung der erforderlichen ärztlichen Instrumente den Eingriff vorgenommen. Dem Zahnarzt wird vorgeworfen, seine Patientinnen und Patienten nicht ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben, denn sonst hätten diese nicht in die Extraktion eingewilligt, sondern sich für die Zahnerhaltung entschieden. Im zu entscheidenden Fall sei es dem Zahnarzt darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf der Behandlung mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.
Dabei hat sich das Gericht auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich bei dem zur Zahnextraktion verwendeten ärztlichen Instrumentarium um eine gefährliche Waffe handelt. Dies müsse danach beurteilt werden, so führt das Gericht aus, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet sei, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen.
Die Extraktionen der Zähne wird zwar unter örtlicher Betäubung vorgenommen, doch führt sie letztlich zum Verlust der extrahierten Zähne und zu Wunden im Mundbereich. Das Gericht ist deshalb zu dem Schluss gekommen, dass der Zahnarzt bei der Extraktion von erhaltungswürdigen Zähnen unter Verwendung von ärztlichen Instrumenten den Qualifikationstatbestand einer gefährlichen Körperverletzung durch Verwendung eines gefährlichen Werkszeugs (ärztliche Instrumente) erfüllt hat (§ 224 Abs. 1 Ziff. 1 StGB). Nicht zu berücksichtigen sei, dass der Zahnarzt zur regelrechten Anwendung des Instrumentariums grundsätzlich in der Lage war und das Instrumentarium auch regelrecht angewendet habe.
Damit wendet sich das OLG Karlsruhe von der Rechtsprechung des BGH ab. Nach der älteren Rechtsprechung des BGH handelt es sich nicht um eine gefährliche Körperverletzung, wenn der Arzt bei einem Eingriff die ärztlichen Instrumente verwendet, weil in diesen Fällen der Angriffs- und Verteidigungscharakter fehle. Das OLG Karlsruhe begründet seine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des BGH mit der Änderung des 6. StrGB vom 26.01.1998. Es bleibt nun abzuwarten, welche Auffassung sich am Ende durchsetzen wird.
Dieser Tipp kommt von:
Wencke Boldt
Fachanwältin für Medizinrecht
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