Arbeitszeugnis mit Schulnoten?
Der Arbeitnehmer hat nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Ausstellung eines schriftlichen Arbeitszeugnisses. Dieses muss mindestens die Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Verlangt der Arbeitnehmer ein qualifizierte Zeugnis, muss es darüber hinaus auch Angaben über die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis enthalten (§ 630 BGB, § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung). Gem. §§ 630 BGB, 109 Abs. 2 GewO muss ein Zeugnis klar und verständlich formuliert sein und darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Die Erteilung eines Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen (§§ 630 BGB, 109 Abs. 3 GewO).
Das Schreiben eines qualifizierten Zeugnisses ist gar nicht so einfach und führt häufig zu Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
So hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit einem Fall beschäftigen müssen, in welchem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Inhalt und die Form eines Arbeitszeugnisses stritten.
In dem zu beurteilenden Fall (BAG, 27.04.2021, AZ: 9 AZR 262/20) hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Zeugnis in Form eines „Schulzeugnisses“ ausgestellt und neben Angaben über Art und Dauer der Tätigkeit beispielsweise ausgeführt: „Fachkenntnisse allg.: befriedigend (…) Arbeits-Qualität: befriedigend (…) –Tempo: gut“ etc. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer und vertrat die Ansicht, dass es sich bei einem solchen Zeugnis in Tabellenform nicht um ein qualifiziertes Zeugnis im Sinne von § 109 GewO handelt. Ferner war er mit den erteilten „Schulnoten“ nicht einverstanden. Der Arbeitgeber hingegen vertrat die Auffassung, sein Zeugnis würde den Anforderungen von § 109 GewO entsprechen.
Das Bundesarbeitsgericht hat dem Arbeitnehmer Recht gegeben und ausgeführt, dass ein Zeugnis in Tabellenform, vergleichbar einem Schulzeugnis, nicht § 109 GewO entspricht. Das Bundesarbeitsgericht führt weiter aus, dass ein qualifiziertes Arbeitszeugnis individuell auf den einen Arbeitnehmer zugeschnitten sei und seine persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentiere. Diesen Anforderungen werde regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht. Dadurch, dass der Arbeitgeber in seinem „Schulzeugnis“ eine Vielzahl von einzelnen Bewertungskriterien ohne Gewichtung nebeneinandergestellt und benotet hat, werde für einen verständigen Leser, so das Bundesarbeitsgericht, nicht erkennbar, welche Aspekte im Arbeitsverhältnis einen besonderen Stellenwert gehabt haben. Besondere Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten des Arbeitnehmers, die für einen potenziellen Arbeitgeber interessant sind, lassen sich aus einem solchen „Schulzeugnis“ nicht ableiten. Ein solches Zeugnis habe daher nur eine geringe Aussagekraft.
Die Erteilung eines Zeugnisses durch Festlegung von bestimmten für den Beruf entscheidenden Kriterien, wie z.B. Fachkenntnisse, Tempo, Arbeitseinsatz, Pünktlichkeit etc., und die Vergabe von „Noten“ würden zwar dem einzelnen Arbeitgeber das Schreiben eines Zeugnisses sicherlich erleichtern. Dies entspreche jedoch nicht einem qualifizierten Zeugnis im Sinne von § 109 GewO. Ein qualifiziertes Zeugnis sei in einem Fließtext zu erstellen, in dem individuelle Hervorhebungen und Differenzierungen zu einem möglichst stimmigen und aussagekräftigen Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers führen.
Da der vom Arbeitnehmer gewünschte Inhalt des Zeugnisses häufig nicht mit der Beurteilung des Arbeitgebers übereinstimmt, ist zu erwarten, dass es auch weiterhin Streitigkeiten über den Inhalt von Zeugnissen geben wird. Der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit ist jedoch auch nicht gedient, wenn Zeugnisse übertrieben freundlich geschrieben werden, um einem möglichen Rechtsstreit aus dem Wege zu gehen. Bereits jetzt ist daher zu beobachten, dass Zeugnissen immer weniger Bedeutung beigemessen werden. Es wäre für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorteilhaft, wenn sich dieser Trend nicht fortsetzen würde.
Dieser Tipp kommt von:
Wencke Boldt
Fachanwältin für Medizinrecht
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