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Aktuelle arbeitsrechtliche Hinweise rund um das Coronavirus-Infektionsgeschehen

Aus aktuellem Anlass sollen nachfolgend für die Zahnarztpraxis einige Orientierungshilfen aufgezeigt werden, um die Auswirkungen des Coronavirus auf die arbeitsvertraglichen Verhältnisse in der Zahnarztpraxis zu erleichtern.

  1. Darf ein Arbeitnehmer der Praxis fernbleiben?
    Arbeitnehmer können dem Arbeitsplatz fernbleiben, wenn sie arbeitsunfähig erkrankt sind. Ist das nicht der Fall und besitzt der Arbeitnehmer keinen berechtigten Grund zum Fernbleiben, verliert er seinen Vergütungsanspruch.
    Anders im Krankheitsfall. In diesem Fall ist bis zu 6 Wochen (Entgeltfortzahlungsgesetz) die Vergütung weiterzuzahlen.
    Als berechtigter Grund für das Fernbleiben ist nicht die Einstellung oder Verringerung des öffentlichen Nahverkehrs anzusehen, denn der Arbeitnehmer trägt grundsätzlich das Wegerisiko. Ist der Arbeitnehmer am Erscheinen am Arbeitsplatz durch Ausfall des Bahn- und öffentlichen Nahverkehrs gehindert, entfällt sein Lohnanspruch. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer befürchtet, sich auf dem Weg in die Praxis oder in der Praxis selbst oder auf dem Weg nach Hause anzustecken, soweit kein konkreter Verdachtsfall vorliegt.
    Was als Verdachtsfall anzusehen ist, hat das Robert-Koch-Institut definiert. Ein Verdachtsfall liegt danach vor, wenn der Arbeitnehmer grippeähnliche Symptome zeigt und in letzter Zeit Kontakt mit einer infektionsverdächtigten Person hatte oder wenn er grippeähnliche Symptome zeigt und sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat oder Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person auch ohne grippeähnliche Symptome zeigt.
  2. Darf der Arbeitnehmer der Praxis fernbleiben, um nahe Angehörige zu versorgen?
    Nach § 616 BGB verliert der Arbeitnehmer nicht seinen Vergütungsanspruch, wenn er „durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden“ an der Arbeitsleistung verhindert wird. Werden Kindergärten und Schulen wegen eines Verdachtsfalls oder aus Präventionsgründen geschlossen und muss ein Elternteil zur Betreuung der Kinder zu Hause bleiben, ist grundsätzlich § 616 BGB anwendbar. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch gegenüber dem Praxisinhaber behält. Dies kann sich jedoch auch nach dem Wortlaut von § 616 BGB nur auf eine verhältnismäßig kurze Zeit erstrecken. Bei schon jetzt verfügten langfristigen Schließungen von Schulen oder Kindertagesstätten hat der Arbeitnehmer anderweitig die Betreuung der Kinder zu organisieren, wenn er seinen Vergütungsanspruch nicht verlieren will. Dem Vernehmen nach beraten z. Zt. Bundeswirtschafts- und Bundesarbeitsministerium am Erlass einer anderen Lösung. Ohne solche verliert der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch.
  3. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum „Home Office“ verpflichten?
    Dieses Instrument ist für Praxen nur in seltenen Fällen denkbar. Vereinzelt wäre dies jedoch für solche Arbeitnehmer denkbar, die zu Hause die Abrechnung der Praxisleistungen vornehmen. Zu beachten ist jedoch, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers grundsätzlich an der Wohnungstür des Arbeitnehmers endet und von ihm daher kein Anspruch gegenüber dem Arbeitnehmer auf Tätigkeiten zu Hause besteht. Eine einvernehmliche andere Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist grundsätzlich möglich.
  4. Kann der Arbeitgeber bei Abwesenheit von Mitarbeitern von den anwesenden Mitarbeitern Überstunden anordnen?
    In besonderen Notfällen kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen. Ein Notfall liegt insbesondere vor, wenn dieser unabhängig vom Willen der betroffenen Arbeitnehmer eintritt und ein unaufschiebbarer Fall vorliegt, deren Nichterledigung einen unverhältnismäßigen Schaden zur Folge haben würde.
    Zu denken wäre an Bruchreparaturen von Prothesen, Schmerzbeseitigung, Notfalldienst u.s.w., für die die Assistenz des Arbeitnehmers erforderlich ist.
  5. Was ist bei Praxisschließung ohne behördliche Anordnung zu beachten
    Wird eine Praxis wegen eines Coronavirus-Falls geschlossen, behält der Arbeitnehmer grundsätzlich seinen Anspruch auf Vergütung, es sei denn der Arbeitgeber hat einen Grund dafür, die Tätigkeit in der Praxis zu verbieten (Freistellungsanspruch des Arbeitgebers).
    Dies ist z.B. der Fall, wenn ein behördliches Tätigkeitsverbot oder die Anordnung von Quarantäne, die alle Mitarbeiter betreffen, angeordnet wird. Liegt für eine Reihe von Mitarbeitern ein derartiger begründeter Verdacht für eine mögliche Infizierung vor, kann im Einzelfall eine Freistellungsinteresse des Arbeitgebers auch für die infektionsfreien Mitarbeiter bestehen, weil die Praxis mit diesem Mitarbeitern nicht aufrecht erhalten werden kann. Nach dem Robert-Koch-Institut liegt ein begründeter Verdacht nur vor,
    > wenn der Arbeitnehmer grippeähnliche Symptome zeigt und in einem internationalen Risikogebiet bzw. in einem besonders betroffenen Gebiet in Deutschland gewesen ist oder
    > grippeähnliche Symptome zeigt und Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person hatte.
    In allen anderen Fällen überwiegt nicht das Freistellungsinteresse des Arbeitgebers mit der Folge, dass den nicht infizierten Mitarbeitern die Vergütung weiter zu zahlen ist.
  6. Was ist bei einem Tätigkeitsverbot zu beachten?
    Nach § 31 Infektionsschutzgesetz (IfSG) kann die Behörde Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen.
    Wird die Tätigkeit einem Arbeitnehmer gegenüber untersagt, hat dieser für die Dauer von 6 Wochen einen Anspruch auf Entschädigung (§ 56 Abs. 5 IfSG). Sie ist vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer zu zahlen; auf Antrag werden diese dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde erstattet. Die Anträge sind innerhalb von 3 Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit zu stellen (§ 56 Abs. 11 IfSG). Es gelten jedoch Höchstbeträge.
    Wird die Tätigkeit dem Praxisinhaber selbst untersagt, erhält er nach dem IfSG eine Entschädigung (§ 56 Abs. 1 und 4 IfSG) in Höhe der in der Zeit der Praxisschließung „weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenen Umfang“.
    Im Übrigen besitzt der Praxisinhaber bei Praxisschließungen oder Praxiseinschränkungen einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Näheres findet sich auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit.
  7. Bestehen Einschränkungen der vom Praxisinhaber zu beachtenden Schweigepflicht?
    „Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder ist anzunehmen, dass solche Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendige Maßnahmen“ (§ 16 Abs. 1 IfSG). Die Behörde und das Gesundheitsamt sind zur Ermittlung und Überwachung der angeordneten Maßnahmen berechtigt (§ 16 Abs. 2 IfSG). Wird daher ein Infektionsfall bekannt, sind die zuständigen Stellen berechtigt, solche Auskünfte zu erhalten, um z.B. die Infektionswege zu verfolgen. Diese gesetzliche Offenbarungspflicht geht der beruflichen Schweigepflicht des Praxisinhabers vor; aber natürlich nur in dem Umfang, wie es zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Eine sensible Handhabung im Interesse der Allgemeinheit ist daher geboten.
    Vorstellbar ist das beispielsweise bei Offenbarung der behandelten Patienten im Falle der Feststellung einer CoViD-19-Erkrankung in einer Praxis.

Diese Tipps kommen von:
Wencke Boldt
Fachanwältin für Medizinrecht
Hildesheimer Straße 33
30169 Hannover
Telefon: 0511 8074995

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