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Der lange Arm von Europa: Urlaubsanspruch und langjährige Erkrankung

Bei einer länger dauernden ernsthaften Erkrankung des Arbeitsnehmers (z.B. über ein Jahr) und einer dauerhaft negativen Prognose kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden. Hierbei ist § 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes zu beachten, der vorsieht, dass der Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten ist. In der Vergangenheit vertrat das Bundesarbeitsgericht dabei die Ansicht, dass Urlaub, der nicht in den ersten drei Monaten des folgenden Jahres genommen wurde, entsprechend § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetzes verfiel und nicht abgegolten werden musste. Aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 20.01.2009, AZ C – 350/06, änderte das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung. Bereits in einem früheren Rechtstipp („Urlaubsanspruch und langjährige Erkrankung”) wurde auf die neue Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 04.05.2010, AZ: 9 AZR 183/09) hingewiesen, in welcher ausgeführt wurde, dass bei einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers, die länger dauert als der Übertragungszeitraum, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung gem. § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz auch bei fehlender Arbeitsleistung nicht wegen mangelnder Durchsetzbarkeit untergeht, sondern im Falle der Kündigung der Urlaubsanspruch abzugelten ist – die Kündigung eines langjährig erkrankten Arbeitnehmers konnte damit zu einem teuren Vergnügen werden.

Das LAG Hamm gab sich mit dieser Rechtsprechung nicht zufrieden und legte im Rahmen eines anderen Rechtsstreits die Rechtsfrage im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens erneut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, 22.11.2011, AZ: C – 214/10) vor.
Der Europäische Gerichtshof bestätigt seine frühere Rechtsprechung, wonach grundsätzlich aufgrund einer nationalen Bestimmungen, wie sie z.B. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz enthält, nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eine Übergangszeitraums ein Anspruch auf Jahresurlaub erlöschen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer überhaupt die Möglichkeit hat, sein Recht auszuüben, was bei einem langjährig Erkrankten nicht der Fall ist. Weiter führt der Europäische Gerichtshof aus, dass dieser Anspruch allerdings nuanciert werden muss. Ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf Jahresurlaub während der Arbeitsunfähigkeit würde nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht mit dem Zweck des Jahresurlaubs (Erholung von der Arbeit, Entspannung und Freizeit) vereinbar sein. Die Übertragung des Anspruchs auf Jahresurlaubs darf eine gewisse Grenze nicht überschreiten.

Fraglich bleibt, innerhalb welchen Übertragungszeitraums der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Jahresurlaub ansammeln kann. Hierzu ist der Europäische Gerichtshof eher vage geblieben und hat ausgeführt, dass dieser Zeitraum für den Arbeitnehmer die Möglichkeit gewährleisten muss, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die langfristig gestaffelt und geplant werden sowie verfügbar sein können. Der Übertragungszeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten. Im vom Europäischen Gerichtshof zu entscheidenden Fall betrug der Übertragungszeitraum aufgrund einer tarifvertraglichen Bestimmung 15 Monate über den Bezugszeitraum. Der Europäische Gerichtshof urteilte abschließend, dass der Anspruch auf Ansammlung von Jahresurlaub bei einem langjährig erkrankten Arbeitnehmer durch einzelstaatliche Rechtsvorschrift oder Geflogenheit, wie Tarifverträge, auf eine Übertragungszeit von 15 Monaten beschränkt werden kann.

Damit hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass grundsätzlich im Bundesurlaubsgesetz oder in tarifvertraglichen Bestimmungen geregelt werden kann, dass bei einem langjährig Erkrankten der Anspruch auf Jahresurlaub zeitlich begrenzt werden kann.
Es bleibt nun abzuwarten, ob der Gesetzgeber eine neue Regelung schafft oder aber welche Rechtsfortbildung aufgrund dieser Rechtssprechung beim Bundesarbeitsgericht sich entwickeln wird.

Es empfiehlt sich schon jetzt mangels solcher anderweitigen Regelungen (im Gesetz oder Tarifvertrag) eine entsprechende Bestimmung in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, der einen maximalen Übertragungszeitraum (15 Monate) für den Fall vorsieht, dass der Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz abzugelten ist.

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