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Spahns Feuerwerk

9. Oktober 2018 11:00

Es ist der Bundesgesundheitsminister Spahn, der zur Zeit ein Feuerwerk an Ideen abbrennt und dabei der Telematik-Infrastruktur seines Vorgängers, noch bevor diese vollständig steht, neue Brennelemente hinzufügen möchte. Nachdem Gröhe den Riesentanker Telematik-Infrastruktur vom Stapel gelassen hat und es nur eine Frage der Zeit ist, bis er ein Leck bekommt, ist es nun sein Nachfolger im Amt, Jens Spahn, der sich durch Wortspenden und immer neue Ideen in Szene zu setzen versteht. Schließlich ruft das Kanzleramt!

Lackpflege statt Ölwechsel

So möchte der Minister beispielsweise fehlende Pflegekräfte aus dem Kosovo, Albanien oder von den Philippinen importieren oder allen Ernstes Wartezeiten durch Mehrarbeit der Ärzte bei gleichzeitiger Kontroll- und Meldefunktion durch die KVen verkürzen. Während Abteilungen in Krankenhäusern aus Personalmangel und Personalüberlastung schließen müssen, schlägt er vor, dass die Beschäftigten in Kliniken und Heimen zur Abfederung des Personalmangels länger arbeiten sollten. “Wenn von einer Million Pflegekräften 100.000 nur drei, vier Stunden mehr pro Woche arbeiten würden, wäre schon viel gewonnen”. Er befördert Termin-Servicestellen als bürokratisches Monstrum und feiert das Digitale als Allheilmittel. Offensichtlich raubt die Dunstglocke der „Digitalisierung“ Vielen das Gespür für Sinn und Unsinn des Machbaren. So präsentiert der Minister, der sich schon jetzt einen Ruf als „Macher“ erworben hat, als neuesten Wurf die Forderung nach Einführung einer neuen (!) Gesundheitskarte. Diese solle nunmehr, dem aktuellen Stand der Technik folgend, das kontaktlose Auslesen der Karte ermöglichen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass zumindest Teile der soeben installierten Hardware hinfällig werden. Es ist einfach atemberaubend, wie durch den Egotrip einzelner politischer Akteure gnadenlos in die Kassen der Versicherten gegriffen und Bürokratie auf Kosten Dritter geschaffen wird, ohne dass es bei den Betroffenen zu nennenswerten Reaktionen käme. Ein weiterer Vorstoß gilt der „Patientenakte“, von der sich der Gesundheitsminister wünscht, dass sie via mobilem Endgerät direkt vom Patienten per Datenaustausch eingesehen bzw. verwaltet werden kann. Allerdings ergeben sich dadurch einmal mehr viele Möglichkeiten des Missbrauchs und des Datenabflusses, die vom BMG offensichtlich verdrängt werden, wie ein Mailverkehr mit der Pressestelle des BMG nahelegt. Später mehr.

Gesundheitsakte „Vivy“

Unter dem Namen „Vivy“ der Betreibergesellschaft „Vivy GmbH“ bewerben diverse gesetzliche Krankenkassen und mehrere private Krankenversicherer unter Federführung der Allianz SE (Vorstand ist Daniel Bahr, ehemaliger Bundesgesundheitsminister) eine App, mit deren Hilfe Patienten per Smartphone ihre „Gesundheitsakte“ selbst verwalten können. Neben dem Neuling „Vivy“ existieren bereits weitere Apps anderer Krankenversicherungen, beispielsweise „TK-Safe“ in Zusammenarbeit mit IBM Deutschland GmbH. Die prinzipiell begrüßenswerte Idee entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als höchst problematisch.

Zwar ist der Anspruch des Patienten auf Herausgabe von Unterlagen durch die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) geregelt, aber kein Zahnarzt und keine Zahnärztin ist verpflichtet, Gesundheitsdaten auf die „Vivy App“ zu übertragen. Lediglich der Patient besitzt einen Anspruch auf Herausgabe an ihn selbst per Kopien, Abschriften, CDs, E-mail, Stick o. ä. Wer jedoch der Aufforderung seines Patienten folgen und dem Betreiber „Vivy GmbH“ Daten zur Verfügung stellen möchte, der sollte zuvor sorgfältig die Rahmenbedingungen der „Vivy GmbH“ unter https://www.vivy.com/ studieren. Insbesondere scheint es sich um eine nicht gänzlich werbefreie Plattform zu handeln; denn auf der Vivy-Homepage heißt es auf die Frage, ob Werbung in Vivy geschaltet wird. „Nutzer von Vivy können Angebote und Informationen ihrer Versicherungen, wie sie im Rahmen der bestehenden Vertragsbeziehung zwischen Nutzer und Versicherung gestattet sind, erhalten“. Und es finden sich noch weitere bemerkenswerte Sätze wie „Vivy nutzt die Vernetzung mit Kooperations- und Leistungspartnern. Diese werden ausdrücklich in der Anwendung benannt“. Und bald endete auch schon die Verantwortlichkeit der Vivy GmbH; denn „Vivy ist für die Handlungen und Leistungen dieser Partner nicht verantwortlich. Hierfür gelten die jeweiligen Vertragsbedingungen der Partner“. Eine weitere Einschränkung der Verantwortung ergibt sich aus folgendem Satz: „Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten auf Grund der Registrierung und der Bereitstellung von Downloads aus den jeweiligen App Stores unterliegt nicht dem Einfluss der Vivy GmbH“.
Und es gibt weitere Umstände, über sich die Gesetzestexter weniger Gedanken machen. Da ist z. B. der Zeit- und Personalaufwand in den Praxen bei zunehmendem Datentransfer via App. Und da ist die Notwendigkeit der strikten Trennung des eigenen Praxisverwaltungssystems beim Datenaustausch. Wer das nicht beachtet, könnte sein PVS durch einen Rückfluss unerwünschter Daten gefährden.

„Datenschutzbruchlandung“

Mike Kuketz, studierter Informatiker mit Schwerpunkt IT-Sicherheit und Datenschutz sieht hingegen die Realität von Datenabflüssen. Hier sind es vor allem die kritischen Gedanken des namhaften IT-Sicherheitsexperten, die bezüglich Vivy mit den Worten enden: „Danke nein, dürft ihr behalten“. Vertiefende Einblicke in diese „Datenschutzbruchlandung“ gibt es unter https://www.kuketz-blog.de/gesundheits-app-anforderungen-an-sicherheit-und-datenschutz/
Für dieses vernichtende Urteil hatte Mike Kuketz die App gar nicht erst ausgiebig getestet. Ausreichend war bereits die Installation und die Registrierung; denn bereits bei der Installation würden zahlreiche Daten in die USA übermittelt. Kuketz schreibt in seinem Blog, dass bereits vor der Einwilligung in die Datenschutzerklärung zahlreiche Informationen an die US-Analyse-Unternehmen übermittelt würden.

Auf die Frage bei der Pressestelle des Bundesgesundheitsministeriums, ob das BMG die in Kürze geplante Parallelstruktur zur Patientenakte durch die „Vivy GmbH“ wünscht oder unterstützt, und ob es nach Ansicht des BMG einen Sinn macht, ähnlich funktionierende Systeme zu installieren, ohne Unsicherheit bei allen Beteiligten befürchten zu müssen, gab es von dort folgende Antwort:

„Die gematik ist verpflichtet bis zum 31. Dezember 2018 die Voraussetzungen für die Einführung der elektronischen Patientenakte nach §291a SGB V zu schaffen. Der Referentenentwurf des Gesetzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) sieht darüber hinaus vor, dass alle Krankenkassen ihren Versicherten spätestens ab dem 1. Januar 2021 elektronische Patientenakten zur Verfügung stellen müssen.

Gleichzeitig haben die Krankenkassen bereits heute die Möglichkeit, am Markt angebotene Aktenlösungen zu finanzieren. Um eine solche Aktenlösung handelt es sich bei Vivy. Es ist deshalb zu begrüßen, dass mit den Angeboten von TK, AOK und Vivy bereits erste Erfahrungen im Umgang mit entsprechenden Akten gesammelt werden können.

Wichtig ist, durch die Festlegungen der gematik wird die Interoperabilität der Aktensysteme gewährleistet.

Ob darüber hinaus weitere Regelungen erforderlich sind, wird die Bundesregierung im Rahmen der Vorbereitung eines Digitalisierungsgesetzes prüfen.“

Aufgrund der Veröffentlichung der kritischen Prüfung durch den Blogger Kuketz erfolgte eine Nachfrage an das BMG:

„…Gestern habe ich einen Link erhalten, der mich zu einer weiteren Nachfrage veranlasst.
https://www.kuketz-blog.de/gesundheits-app-vivy-datenschutz-bruchlandung/
Der Link führt zu einem bekannten Blogger, der sich mit “Vivy” sehr intensiv beschäftigt hat.

Im Ergebnis kommt der Fachmann zu der begründeten Einschätzung, dass bereits beim Anklicken der App eigene Daten an diverse – und mit Google verbundene – Firmen in die USA versandt werden – und das, bevor die Zustimmung zu den AGBs erfolgt ist.

Insofern hätte ich gerne zu dieser speziellen Thematik eine Stellungnahme des Bundesministeriums erfahren: Sieht das BMG es als akzeptabel an, wenn in Verbindung mit der Vivy-App – unbemerkt vom Benutzer – Daten ins Ausland versandt werden? Und hält es das BMG für absolut undenkbar, dass in der Folge auch Gesundheitsdaten abfließen … ?“

„ … ich bitte Sie um Verständnis, dass das BMG dazu keine Bewertung vornehmen kann. Ihre Fragen müssten Sie bitte an die Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ( BfDI ) oder weitere für den Datenschutz zuständige Aufsichtsbehörden übermitteln…“

…auf der Standspur überholt

Fazit: Der Tatendrang des/der Minister/s im Gesundheitsbereich ist ungebrochen. Entscheidungen werden getroffen, deren Auswirkungen unzureichend durchdacht sind, wie beispielsweise die Implementierung arztgruppengleicher Z-MVZ, die zur massiven Einflussnahme fachfremder Großinvestoren und Private-Equity-Gruppen geführt hat. Auch bei der Patienten- bzw. Gesundheitsakte scheint Ideenreichtum und Schnelligkeit vor Sicherheit und Sinnhaftigkeit zu gehen – auch wenn dabei der Überblick verlorenzugehen scheint. Es spricht vieles dafür, dass die Krankenkassen mit der Beauftragung der „Vivy GmbH“ und ähnlicher Apps den Gesundheitsminister gerade auf der Standspur überholen und vollendete Tatsachen schaffen.
Auf eines ist Verlass: Auf dem Weg ins Kanzleramt gibt es noch genügend Felder, die im Rahmen ministerieller Aktionsfreude durchgepflügt werden.

Dr. Michael Loewener
Wedemark
Zahnärzte für Niedersachsen e. V. – ZfN

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