Sind 30 bis 40 % der Zahnärzte korrupt?
Offener Brief an ZDF-WISO-Redakteur Andreas Baum
Sehr geehrter Herr Baum,
in Ihrem WISO-Beitrag im ZDF vom 22. Februar lassen Sie u. a. einen Anonymus zu Wort kommen, der in einer nachempfundenen Szene mit betroffener Stimmlage pauschale Verdächtigungen gegen einen ganzen Berufsstand ausspricht. Zwar entspricht es inzwischen dem medialen Standard, Berichte über Zahnärzte oder zahnärztliche Themen grundsätzlich mit Begriffen wie „teuer“, „schmerzhaft“ oder vorzugsweise mit beiden einzuleiten, aber Ihr Beitrag sticht durch seine unverblümte Einseitigkeit hervor, die das notwendige Maß an journalistischer Ausgeglichenheit vermissen lässt. Es ist nicht das zu Recht angesprochene Thema, sondern die tendenziöse und recherchearme Berichterstattung, die mich zu diesem Offenen Brief veranlasst. Dazu später mehr.
Zunächst zu den Fakten der Sendung:
Ein angeblicher und anonymer Zahntechniker, der für den Fall seiner Namensnennung seinen wirtschaftlichen Ruin befürchtet, berichtet über„dubiose Geschäftspraktiken von Zahnärzten“ zu Lasten der Patienten, „über praktisch verdeckte Provisionszahlen von den Zahnlaboren an die Zahnärzte“. Der dermaßen Drangsalierte klagt zudem über die Drohung seines Zahnarztes, sich ein anderes Labor zu suchen, wenn er ihm nicht 10 % des Umsatzes, den er durch ihn mache, zurückzahle.
„Kickback“ nennt sich diese straf- und berufsrechtlich zu ahndende Handlungsweise.
Der Regisseur des mit teilweise unheilvekündendem niederfrequenten Brummton unterlegten Berichtes setzt weitere Akzente, indem er einen Briefumschlag über den Tisch gleiten lässt, der „einmal im Monat – bei Kaffee und Smalltalk“ den Besitzer wechsele, wie der Kronzeuge verkündet. Allmonatlich erhalte der Zahnarzt so von dem zahntechnischen Anonymusrund 1000 Euro, und zwar bar und schwarz.
„Das Geld muss ich natürlich irgendwie verdienen, d. h., ich bin gezwungen, meine Arbeiten entsprechend teurer zu machen“, verkündet der Arglose weiter, offenbar ohne sich Gedanken über die selbstbelastende Bedeutung des eigenen Bekenntnisses zu machen. Und der Nachsatz „Und die Zeche zahlen dann die Patienten; denn auf deren Zuzahlungen wird das in der Regel aufgeschlagen”, verbessert die Situation keineswegs.
Eine Situation, die man angeblich auch bei Zahntechnikerinnungen kennt. Dazu weiß in dem Beitrag Michael Knittel von der Zahntechnikerinnung Düsseldorf zu berichten: “Das ist ein Problem, das häufig zwischen Zahnarztpraxen und Dentallaboren vorkommt. Wir sind mächtig sauer darüber. Die Labore haben einfach Angst, dagegen etwas zu unternehmen. Sie haben Angst, aus der Abhängigkeit heraus morgen keine Arbeit mehr zu haben. Deswegen ist Stillschweigen angesagt. Kein Wunder also, dass offenbar die wenigsten Patienten von derartigen Machenschaften wissen“.
Wie bitte? Der Zahntechnikerinnung sind derartige „häufige“ Vorkommnisse bekannt, und alle hüllen sich vor lauter Angst und Schrecken in Schweigen. Ich will nicht glauben, dass Zahntechnikerinnungen nicht über Vernetzungen, politischen Einfluss und vor allem über die notwendige Courage verfügen, sichgegen derartige und „häufig“ vorkommende strafbewehrte Machenschaften für ihre Mitglieder aktiv zur Wehr zu setzen, und dass die Angstlage unter Zahntechnikern so groß ist, dass nicht einmal deren Funktionäre den Rechtsstaat bemühen, sondern sich auf Hörensagen berufen.
Dem WISO-Redaktionsteam ist es nach eigenen Angaben gelungen, einen weiteren Laborinhaber ausfindig zu machen, und dieser Namenlose legt noch einmal nach:
Seiner Erfahrung nach seien 30 bis 40 % der Zahnärzte korrupt!
“Die kriegen den Hals einfach nicht voll…. die Zahnärzte stecken sich das Geld lieber in die eigene Tasche“, unterstreicht er seine Ohnmacht. Gleichzeitig ist sich die Redaktion offensichtlich nicht bewusst, was eine in einem öffentlich rechtlichen Sender ausgestrahlte ebenso unbewiesene wie unsinnige und auch ehrabschneidende Aussage eines herbeigezogenen „Kronzeugen“ auszulösen vermag. Bis zu 40 % eines Berufsstandes soll korrupt sein? Haben Sie sich keinerlei Gedanken über diese ungeheuerliche Anschuldigung gemacht, bevor sie Ihren Schneidetisch verlassen hat? Ist diese Handlungsweise mit Ihrem eigenen journalistischen Anspruch vereinbar?
Nicht genug damit; denn nunmehr erscheint im Bild eine hochpreisige Autoflotte, verbunden mit dem Kommentar, dass korrupte Zahnärzte oft von den Laborinhabern auch geleaste Wunschfahrzeuge inclusive Steuern und Versicherung verlangen würden. Und die Leidtragenden seien da wieder auch die Patienten, die entsprechend draufzahlen, kommentiert der Sprecher.
Recherchearmut:
Der Kommentator: „Wir fragen bei der Bundeszahnärztekammer nach – doch Interview – Fehlanzeige. Schriftlich heißt es hier: Man verurteile jede Form von Korruption im Gesundheitswesen“.
War es das? Auf jeden Fall begnügt sich das WISO-Team nach vorhergehenden massiven und anonymen Anschuldigungen gegen einen Berufsstand mit dieser kargen Aussage. Wenn alle weiteren Äußerungen der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die diese auf drei Seiten schriftlich zur Verfügung gestellt hat, in der Sendung unterschlagen werden, dann ist das für mich der Beweis von zielgerichtetem Tendenzjournalismus, für den primär der Skandal und die Einschaltquote im Mittelpunkt des Geschehens stehen.
Aber auch das gehört zu den Fakten:
Ja, es gab und gibt wahrscheinlich immer noch Kickback-Vereinbarungen zwischen Zahntechnikern und Zahnärzten. Genauso, wie es Brandstifter bei der Feuerwehr oder Bestechlichkeit in der Politik gibt. Dass diese nicht rechtskonform sind und nicht zuletzt zu Lasten der betroffenen Patienten erfolgen, soll nicht bestritten werden. Und dass es gilt, dieses Fehlverhalten zu sanktionieren, bedarf keiner weiteren Erwähnung.
Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass sowohl die Zahnärztekammern, als auch die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht nur den Auftrag haben, Rechtsverstößen nachzugehen, sondern dies auch tatsächlich und schon seit langer Zeit, bevor jetzt der Gesetzgeber Handlungsbedarf sieht, tun. Und das nicht nur, weil es so durch die Berufsordnungen der Länder vorgegeben ist, sondern weil die Zahnärzteschaft als Freier Beruf insgesamt einen ethischen Anspruch besitzt!
Ich erinnere an die sog. „Globudent“-Fälle, bei denen es um Kickback-Vereinbarungen ging. Bereits in den vergangenen Jahren sind entsprechende Fälle vor dem Disziplinarausschuss der KZVen verhandelt worden. Im Ergebnis wurden empfindliche Strafen bis hin zum Ruhen der Zulassung mit den entsprechenden existentiellen Auswirkungen ausgesprochen. Ganz zu schweigen vom strafrechtlichen Geschehen und den entsprechenden Urteilen der Gerichte.
Die Bundeszahnärztekammer hat in ihren Ausführungen an Ihre Redaktion zu Recht darauf hingewiesen, dass Korruptionstatbestände bereits in der Musterberufsordnung niedergelegt sind, und dass jeder bekanntgewordene Fall von den Zahnärztekammern selbstverständlich verfolgt und geahndet wird. Die (Landes)Zahnärztekammern halten als Körperschaften des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.; die BZÄK ist keine K.d.ö.R., sondern ein eingetragener Verein) und aufgrund der Heilberufsgesetze der Länder und der darauf gründenden Berufsordnungen ein funktionierendes System zur Bekämpfung von Korruption vor. Auch dass die Zuständigkeiten bei den einzelnen Zahnärztekammern liegen, ist Ihnen gegenüber kommuniziert worden. Ferner haben Sie Kenntnis von der Online-Broschüre der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit des Zahnarztes mit dem Zahntechniker aufzeigt:http://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/b/Zahnmedizin_Zahntechnik.pdf
In der Broschüre heißt es: „…Rückvergütungen, Preisnachlässe, Rabatte, Umsatzbeteiligungen und Bonifikationen müssen an den Zahlungspflichtigen weitergegeben werden …Hiervon unberührt bleiben gewährte Barzahlungsnachlässe…Der Einbehalt eines vereinbarten Skontos von 3 Prozent für die unverzügliche Begleichung einer Rechnung ist somit zulässig …Nicht weitergegebene Rabatte können zudem als Betrug bzw. Untreue zum Nachteil des Patienten zu werten sein.“
Zu den Berufspflichten äußert sich die Musterberufsordnung der BZÄK wie folgt:
„Dem Zahnarzt ist es nicht gestattet, für die Verordnung, die Empfehlung oder den Bezug für Patienten von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln sowie Medizinprodukten eine Vergütung oder sonstige vermögenswerte Vorteile für sich oder Dritte versprechen zu lassen oder anzunehmen. Es ist dem Zahnarzt nicht gestattet, für die Zuweisung und Vermittlung von Patienten ein Entgelt zu fordern oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren“.
Im Kommentar zur Muster-Berufsordnung der Bundeszahnärztekammer heißt es:
„Die Vorschrift gilt auch für den Vertrag zwischen Zahnarzt und zahntechnischem Labor. Ein Leistungsaustausch zwischen gewerblichem Labor und Zahnarzt ist unzulässig, wenn dadurch eine unmittelbare oder mittelbare Beeinflussungsmöglichkeit des Therapie- oder Auftragsverhaltens gegeben ist und/oder etwaige erlangte Vorteile nicht an den Patienten oder Kostenträger weiter gegeben werden. Vergleiche folgende Entscheidungen:
Sozialgericht Düsseldorf (U. v. 25.02.2009, Az.: S 2 Ka 29/08 (Verbot „kick-back“ – Vereinbarung einer umsatzbezogenen Rückvergütung zwischen Zahnarzt und Dentallabor).
Landgericht Köln (U. v. 22.05.2014, Az.: 31 O 30/14). Das Landgericht hat einen Hersteller von Dentalerzeugnissen zur Unterlassung verurteilt, der Zahnärzten beim Bezug von Dentalprodukten, etwa Implantaten, ein kostenloses iPad inklusive Software angeboten hatte“.
Verstöße gegen Berufspflichten werden nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen geahndet.
Fazit
Sehr geehrter Herr Baum, um nicht missverstanden zu werden, noch die folgende Bemerkung: Wir Zahnärzte wollen in den eigenen Reihen keine Korruption oder andere Rechtsverstöße dulden. Zahnärztekammern und Kassenzahnärztliche Vereinigungen besitzen ausreichende Möglichkeiten zur Sanktionierung – und sie machen nachweislich Gebrauch davon, zumal die Rechtslage zu Kickback-Praktiken klar und deutlich im Berufsrecht geregelt ist. Allerdings können Kammern und KZVen nur dann aktiv werden, wenn sie tatsächlich Kenntnis von entsprechenden Vorfällen erlangen. Diffuse Verdächtigungen, noch dazu mit vermuteten irrealen Prozentsätzen helfen weder Ihren Zuschauern, noch Zahntechnikern oder Zahnärzten. Hier würde mehr Offenheit und Ausgewogenheit bei der Berichterstattung hilfreich sein.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Mit freundlichen Grüßen aus der Wedemark
Dr. Michael Loewener
29.02.2016