Offener Brief zur Reform der GOÄ
Positionierung der Fachärzte in Klinik und Praxis zur Änderung der Bundesärzteordnung (Stand: 4. September 2015), zum Entwurf des Paragrafenteil der GOÄ (Stand: 12. August 2015) und zur Änderung von § 75 Abs. 3b SGB V
“Sehr geehrte Damen und Herren Delegierte, liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 23. Januar 2016 findet der von drei Ärztekammern geforderte außerordentliche Deutsche Ärztetag zur Reform der Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) statt. Im Vordergrund dieses Ärztetages geht es um umfangreiche Anpassungen in der Bundesärzteordnung sowie den Paragraphenteil der GOÄ und viele von Ihnen werden sich fragen, warum deshalb ein außerordentlicher Deutscher Ärztetag stattfinden muss und das zu einer Zeit, in der sich die Ärzteschaft mit anderen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung aller Menschen in Deutschlands befassen muss.
Es geht aber bei den Änderungen zur Bundesärzteordnung und zur GOÄalt um mehr und darüber muss Transparenz herbeigeführt werden, darüber muss die gesamte Ärzteschaft informiert und darüber muss gestritten werden, ohne dass man den Vorwurf erhält, man will diese Reform verhindern und damit der Bürgerversicherung den Steigbügel halten. Diese Verknüpfung ist unfair und verhindert eine kollegiale Diskussionskultur um die Inhalte.
Keine Gruppierung und insbesondere auch nicht der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) verbindet damit eine fundamentale Kritik an Inhalten und Zielen der Bundesärztekammer bzw. beabsichtigt eine Schwächung der verfassten Ärzteschaft in ihren Körperschafts- und Verbandsstrukturen.
Es sind zwei Grundsatzfragen, die auf diesem außerordentlichen Deutschen Ärztetag beantwortet werden müssen:
- Stellt die deutsche Ärzteschaft die Position des freien Berufes in seiner bisherigen Form zur Disposition?
- Wollen Teile der deutschen Ärzteschaft durch die Konvergenz von PKV und GKV eine Diskussion über eine Krankenversicherungsreform hin zu einem einheitlichen Versicherungsmarkt einleiten?
Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), der die Fachärzte in Klinik und Praxis sowie deren Verbände (siehe unten) vertritt, hat bereits früh auf diesbezügliche Problemfelder zur GOÄneu hingewiesen.
Er wendet sich mit diesem offenen Brief an Sie, um Ihnen gegebenenfalls bereits bekannte Argumente für die Diskussion aus Sicht der Fachärzte in Klinik und Praxis an die Hand zu geben und nicht, um eine längst überfällige Reform zur Anpassung der Leistungsziffern und Legenden an die moderne Medizin und an neue Kostenstrukturen zu verhindern. Das Gleiche gilt auch für die Neufestlegung einer angemessenen Vergütung privatärztlicher Leistungen, die seit Jahrzehnten überfällig ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, wäre aber eine Überarbeitung der Legenden und Bewertungen der GOÄ völlig ausreichend. Aber leider kennen wir gerade diese nicht, was die Diskussion auf dem außerordentlichen Deutschen Ärztetag grundsätzlich in Frage stellen muss. Die Bundesärzteordnung sowie der Paragraphenteil und damit die Struktur der GOÄ müssen nicht korrigiert werden!
Der SpiFa hat nach dem Bekanntwerden von Formulierungen zur Anpassung der Bundesärzteordnung sowie der GOÄneu die Bundesärztekammer aufgefordert, den seitens der Bundesärztekammer eingebrachten Entwurf zur GOÄneu, der den Verbänden bisher als Forderung der Ärzteschaft nicht vorgelegt wurde, gemeinsam mit diesen zu diskutieren. Uns ist bewusst, dass die Veröffentlichung eines ärztlichen oder gemeinsamen Entwurfes nicht einfach ist, ohne konkrete Verhandlungsziele aufzugeben. Sie schafft jedoch Vertrauen, in dem eigene Positionen der Ärzteschaft, Positionen der Kostenträger und Kompromisslinien erkennbar werden, und es wird die Möglichkeit zur kritischen Diskussion von Verhandlungspositionen geschaffen. Die Befassung der Berufsverbände und wissenschaftlichen Gesellschaften vor vier Jahren ist ebenfalls keine ausreichende Legitimation!
Leider wird der kommende außerordentliche Deutsche Ärztetag am 23. Januar 2016 nur über die bisher bekanntgewordenen und geplanten Anpassungen in der Bundesärzteordnung sowie im Paragrafenteil der GOÄneu sachgerecht diskutieren können. Eine Transparenz über die konkreten Leistungsinhalte und deren Bewertungen fehlt bisher vollständig. Und dies, obwohl bereits im ersten Quartal 2016 die Bundesregierung mit der Novellierung der GOÄ befasst werden soll. Wann wird die Bundesärztekammer hier eine vollständige Transparenz der Überlegungen zur GOÄneu offenlegen?
Bedeutung der GOÄ für die freien Heilberufe
Ein freier Beruf wird u.a. durch eine staatlich vorgegebene Gebührenordnung definiert. Zu den freien Berufen gehören in Deutschland u.a. die Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten und die Ärzte. Es ist nicht jedermann bekannt, dass Freiberuflichkeit nichts da-mit zu tun hat, ob man selbstständig oder angestellt arbeitet. Auch der angestellte Arzt im Krankenhaus ist freiberuflich tätig mit allen Rechten und Pflichten, die damit verbunden sind. Ziel der Freiberuflichkeit ist es nicht, die Angehörigen dieser Berufe im gesellschaftlichen Umfeld zu schützen. Es geht vielmehr um die Patienten, Klienten und Kunden. Die Beziehung zu ihnen darf nicht von außen beeinflusst werden Die Abrechnung gegenüber den Patienten muss frei von ökonomischen Einflüssen Dritter sein. Der freie Beruf hat sich deshalb an eine Gebührenordnung zu halten. Dies gilt insbesondere gegenüber wirtschaftlichen Interessen, die eine Entscheidung beispielsweise in der Arzt-Patienten-Beziehung oder in der Anwalt-Klienten-Verbindung beeinflussen könnten. Kostenträger wie die private Krankenversicherung mit ihren rein wirtschaftlichen Interessen haben gerade deshalb außen vor zu bleiben.
Dem Schutz der Patientenrechte dient die Berufsordnung, deren zentraler Bestandteil die Gebührenordnung ist. Für die Rechte und Pflichten der freien Berufe ist nicht die Bewertung der Leistungen entscheidend, sondern der ordnungspolitische Rahmen, in dem diese erbracht werden. Eine Gebührenordnung regelt alle Leistungsbeziehungen, auch z. B. gegenüber einem Krankenhaus oder bei der Erstellung von Gutachten. Sie geht somit über eine PKV und die Beihilfe weit hinaus. Der Maßstab für den ärztlichen Beruf ist der Paragrafenteil der GOÄ. Dies hat bereits der 117. Deutsche Ärztetag im Mai 2014 beschlossen (Drucksache I-39). Der Behandlungsvertrag wird zwischen Arzt und Patient geschlossen. Die Rechtsbeziehung des Patienten zu seiner Versicherung, sei es die Beihilfe oder eine private Krankenversicherung, hat darauf keinen direkten Einfluss. Auch die Vergütung ist allein Sache des Arztes und des Patienten, und hat sich an der GOÄ verbindlich zu orientieren. Deshalb muss bei einer Novellierung des ordnungspolitischen Teils des Paragrafenwerks hinterfragt werden, ob die Freiberuflichkeit des Arztes eingeschränkt wird. Jede Novellierung des Paragrafenteils der GOÄ, die die wirtschaftlichen Interessen der Kostenträger in die Systematik mit einbezieht, schränkt deshalb die Freiberuflichkeit ein.
Bedeutung der GOÄ für den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM)
Gerade beim Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), der im Gegensatz zur GOÄ einen vertraglich vereinbarten Bewertungsmaßstab darstellt, spielen die wirtschaftlichen Interessen der gesetzlichen Krankenversicherung eine unmittelbare Rolle bei der Gestaltung von Leistungslegenden und -bewertungen. Die in fataler Weise dem Paragrafenteil der GOÄneu ähnlichen allgemeinen Bestimmungen zum EBM sind eben nicht der Maßstab für das ärztliche Handeln, sondern Ausdruck eines im Sozialgesetzbuch V (SGB V) verankerten Grundprinzips von „wirtschaftlich, ausreichend, zweckmäßig und notwendig“. Grundlage der Vergütung ist der in den Bundesmantelverträgen niedergelegte kollektive und nicht der individuelle Behandlungsvertrag. Deshalb leistet, möglicherweise sogar berechtigt der EBM einen sozialen Rabatt, wenn er Leistungsumfang und -vergütung bei der Behandlung von Versicherten der GKV definiert. Umso wichtiger ist es für die verfasste Ärzteschaft, dass es darüber hinaus eine Gebührenordnung gibt, die das medizinisch Sinnvolle und die darauf basierte angemessene Vergütung beschreibt. Ohne solche Preissignale würde das Vergütungsniveau des EBM nur noch ausschließlich durch die Finanzlage der GKV und der gesetzlichen Unfallversicherung definiert.
Gleiches gilt für die Bewertung der ärztlichen Leistungen im stationären Versorgungsbereich: Ohne eine Bewertung der ärztlichen Leistungen durch die GOÄ würde deren Bewertung in der DRG-Kalkulation unterschätzt.
Konvergenz von GOÄ und EBM?
Aus den vorgenannten Gründen lehnt der SpiFa eine Angleichung von GOÄ und EBM grundsätzlich ab. Dabei ist es unerheblich, ob der EBM der GOÄ oder die GOÄ dem EBM im allgemeinen Teil, den Leistungsbeschreibungen und -bewertungen oder in zusätzlichen Steuerungsinstrumenten angeglichen wird. Leider steht zu befürchten (siehe Anlage), dass durch die Übernahme von GKV-Elementen in den Paragrafenteil der GOÄneu eine solche Angleichung unmittelbar bevorsteht. Diese hat nichts, aber auch gar nichts, mit Maßnahmen des Patientenschutzes zu tun und dokumentiert die Einwirkung der Kostenträger auf das individuelle Patienten-Arzt-Verhältnis. Erfolgt diese Angleichung des Paragrafenteils an die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung ist dies der erste Schritt zu einer Konvergenz von GOÄ und EBM. Damit werden bereits ordnungspolitische Elemente der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Not übernommen. Deutlich wird dies vor allem durch die Gemeinsame Kommission (Geko), die dem Bewertungsausschuss nach § 87 SGB V ähnlich ist sowie die vorgesehene Ausgabenobergrenze, die von der Budget-Ideologie der gesetzlichen Krankenversicherung abgeleitet ist!
Von dieser Konvergenz ist es ein kleiner – von der Ärzteschaft dann nicht mehr zu verhindernder – gesetzgeberischer Schritt hin zu einer einheitlichen Gebührenordnung, die für die Versorgung von Versicherten der PKV und GKV bzw. „der Bürger“ maßgeblich wäre. Dies ist dann Grundlage für den Aufbau eines einheitlichen Versicherungsmarktes, der den Schlussstein für die Bürgerversicherung setzen würde. Von daher ist dieser erste Schritt, der durch die Novellierung des Paragrafenteils der GOÄ erfolgt, in all seinen Auswirkungen zu prüfen. Kommt der außerordentliche Deutsche Ärztetag zu der gleichen Auffassung wie der SpiFa, dann muss dieser Paragrafenteil auf den Prüfstand. Und es muss im Interesse einer guten Patientenversorgung und dem Erhalt des freien Arztberufes eine unmittelbare Nachverhandlung erfolgen.
Die Grundprinzipien des freien Arztberufes dürfen nicht durch die privatwirtschaftlichen Interessen der PKV aufgelöst werden!
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. med. Dirk Heinrich Vorstandsvorsitzender
Dr. med. Axel Schroeder Vorstandsmitglied
Dr. med. Christian Albring Vorstandsmitglied
Dr. med. Hans-Friedrich Spies Anlagen Vorstandsmitglied”
Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) setzt sich zusammen aus:
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA), Berufsverband Niedergelassener Chirurgen e.V. (BNC), Berufsverband der Deutschen Dermatologen e.V. (BVDD), Bundesverband Niedergelassener Diabetologen e.V. (BVND), Berufsver-band der Frauenärzte e.V. (BVF), Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V. (bng), Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e.V. (BNHO), Deutscher Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. (BVHNO), Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), Bundesverband der Pneumologen (BdP), Bundesverband Deutschland für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (bdpm), Berufsverband der Rehabilitationsärzte Deutschlands e.V. (BVPRM), Berufsverband Deutscher Rheumatologen e.V. (BDRh), Berufsverband der Deutschen Urologen e.V. (BDU), Bundesverband Ambulantes Operieren (BAO), Deutscher Facharztverband (DFV), Bundesverband der Belegärzte e.V. (BdB), Anästhesie-Netz-Deutschland e.V. (AND), Deutscher Berufs-verband der Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. (DBVPP), Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG), Berufsverband Deutscher Anästhesisten e.V. (BDA), Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BDI), Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (BDN), Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik u. Psychotherapie in Deutschland e.V. (BKJPP), Berufsverband Deutscher Nervenärzte e.V. (BVDN), Berufsverband Deutscher Psychiater e.V. (BVDP), Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen in Deutschland e.V. (BNGO), Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. (BDN), Berufsverband Deutscher Neurochirurgen e.V. (BDNC).
Assoziierte Mitglieder: Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) e.V (ALM), Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V. (NAV-Virchow-Bund).
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