(Essen/Hamburg, 19.04.2023) Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant neue Gesetze: Ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) soll die bislang freiwillige Entscheidung der gesetzlich Versicherten für das Anlegen einer zentralen und von der Krankenkasse verwalteten elektronischen Patientenakte (EPA) nach einer informierten Entscheidung abschaffen. Als Ersatz in der Diskussion: eine per Gesetz automatisierte angelegte Akte ohne vorherige Einwilligung ab Geburt. Die Freie Ärzteschaft (FÄ) kritisiert diese Vorhaben deutlich.
„Sich nicht aktiv dagegen auszusprechen, kann niemals Zustimmung bedeuten“, beanstandet die Vize-Vorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ) Dr. Silke Lüder, Allgemeinärztin aus Hamburg, die Pläne des Bundesgesundheitsministers heute.
„Zudem bindet der Minister gleichzeitig die Kritiker der bisherigen Digitalstrategie aus Ärzteschaft und Datenschutz nicht etwa ein, sondern stellt sie aufs Abstellgleis“, so die Freie Ärzteschaft weiter. Dazu gehören die Verbände der Ärzteschaft ebenso wie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, dessen Vetorecht im Zusammenhang mit der Digitalisierung künftig nach Absichten des Ministers abgeschafft werden soll. „Die digitale Planwirtschaft nimmt weiter Fahrt auf“, resümiert Lüder.
EPA = Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht
Leider werde mit einer zwangsweisen Befüllung einer staatlich angeordneten zentralen elektronischen Patientenakte durch Ärzte, Apotheker und viele weitere Mitarbeiter des Gesundheitswesens die ärztliche Schweigepflicht abgeschafft, erklärt die Allgemeinärztin.
Der Erhalt eines Vertrauensraums in Arzt- und Psychotherapiepraxen sowie Kliniken sei aber die Grundlage ärztlicher Tätigkeit, betont Lüder. Arztbriefe dürfen derzeit nur dezentral mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten und zur weiteren Behandlung an Beteiligte weitergeleitet werden. „Wenn alle Informationen künftig aus dem Sprechzimmer automatisch in zentrale „Datensilos“ wandern, freuen sich die Medizin-, Pharma- und Telemedizinindustrie über größere Renditen, außerdem aber auch die Hersteller von Erpresser- und Malware“, gibt die Hamburger Allgemeinmedizinerin zu bedenken. Es sei daher zu befürchten, dass Menschen aus Sorge um die Sicherheit ihrer persönlichen Gesundheitsdaten womöglich nicht mehr zum Arzt gehen werden.
EU-Kommission macht mit und droht mit Sanktionen
Auch die EU-Kommission plant seit Mai 2022, auf Basis der Verordnung zum „European Health Data Space (EHDS), Ärzte und Kliniken europaweit zu zwingen, auf Wunsch von Pharma- und IT-Firmen und unter Androhung von Sanktionen ihre ärztlichen Dokumentationen aus der Praxis freizugeben – unter anderem zum Training von künstlicher Intelligenz (KI-Algorithmen).
„Angeblich ist es offenbar für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa notwendig, alle Krankheitsdaten von 400 Millionen Einwohnern in zentralen „Datensilos“ außerhalb von Praxen und Kliniken zu speichern, um pauschal die Forschung zu fördern“, erläutert der FÄ-Vorsitzende Wieland Dietrich dazu. Tatsächlich sei es jedoch für valide Erhebungen mit belastbaren Ergebnissen weiterhin erforderlich, unter standardisierten Bedingungen evidenzbasierte Forschung zu betreiben, der die Betroffenen vorher aktiv zugestimmt haben, so Dietrich.
Risiko Datenlücken und schlechte Forschungsergebnisse
Datenmengen aus schlechten Real-Word-Daten aus der täglichen Versorgung enthielten systematische Fehler, sodass sie zum Beispiel für die Entwicklung neuer Medikamente aber auch für echte Versorgungsforschung gar nicht in Frage kämen, kritisiert Dietrich weiter. Daher bestünde keine Berechtigung, dafür europaweit die ärztliche Schweigepflicht und die informationelle Selbstbestimmung der Patienten in Frage zu stellen. „Die Freie Ärzteschaft (FÄ) wird weiter um den Erhalt der Schweigepflicht kämpfen – auch auf dem nächsten Deutschen Ärztetag in Essen im Mai 2023“, betont der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft.