Die neue E-Evidence-Verordnung
– auf der Zielgeraden des europoäischen Gesetzgebungsverfahrens
– Verordnung mit verstecktem Zündstoff
– Herausgabe von Daten an Ermittlungsbehörden anderer EU-Staaten
Der Monat nähert sich seinem Ende und somit ist eine neue Verordnung fällig. Aus Berlin darf man sie derzeit nicht erwarten, da sich in vereinter Vorfreude auf das Wahlergebnis zum Deutschen Bundestag in diesen Tagen niemand mit einem neuen Würgeholz in die Öffentlichkeit traut. Aber eines ist sicher: Der Verordnungsstau ist nur von vorübergehender Natur. Nach der Wahl werden neue „Produkte“ aus den Werkhallen des Gesundheitsministeriums präsentiert werden – so oder so! Im ungünstigsten Fall wird der alte „Werkleiter“ sogar der neue sein und sich das Elend verstetigen.
In der Zwischenzeit springt Europa in die Bresche und bringt die sog. E-Evidence-Verordnung ins Spiel, in der die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit und weitere Institutionen eine weitere ernstzunehmende Gefährdung des Datenschutzes im Gesundheitswesen erkennen:
Welcher Anspruch steht hinter der neuen Verordnung?
Nach der geplanten sog. E-Evidence-Verordnung könnten zukünftig Ermittlungsbehörden anderer EU-Staaten die Herausgabe von (medizinischen) Daten verlangen. KBV-Vorstandsmitglied Kriedel sieht „nichts weniger in Gefahr als das ärztliche Berufsgeheimnis“.
Wenn, wie zu erwarten, der Europäische Rat in Kürze die E-Evidence-Verordnung verabschiedet, ist nicht ausgeschlossen, dass es Ermittlungsbehörden aus anderen EU-Staaten ermöglicht wird, Zugriff auf Patientendaten in der Cloud zu erhalten – und zwar auch ohne Zustimmung und Wissen des Praxisinhabers.
Der Entwurf der Verordnung wird gegenwärtig im Rat der Europäischen Union und im Europäischen Parlament beraten.
Wer über Zeit, Durchhaltevermögen und vor allem juristischen Spürsinn für Feinheiten und Querwirkungen verfügt, möge zum besseren Verständnis den Entwurfstext der „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen“ unter der folgenden Adresse studieren.
Bei dem Text handelt es sich um ein juristisch ausformuliertes Meisterwerk, das ganz sicher vielen Juristen mit Pensionsberechtigung für Jahre Beschäftigung gegeben hat.
Beim Lesen der ineinandergreifenden Passagen kann den Leser durchaus das Gefühl beschleichen, dass es sich, um das böse Wort von der Ermächtigung zu vermeiden, um das Zugeständnis weitestgehender Eingriffsmöglichkeiten in die Datenhoheit nahezu aller Dienstleister und deren Server auf vielen Ebenen bis hin zu den (a)sozialen Medien handelt – natürlich nur zum Zweck der „Erhebung elektronischer Beweismittel in Strafsachen“ (!).
Wäre es demnach völlig ausgeschlossen, einer Person eine Straftat zu unterstellen, die mit einer mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe bedroht wird, um an sämtliche Daten dieser Person zu gelangen?
Man wolle, so ist dem Papier zu entnehmen, die Kooperationsverfahren an das digitale Zeitalter anpassen und der Justiz und den Strafverfolgungsbehörden „Instrumente für den Umgang mit den heutigen Kommunikationsmethoden von Straftätern“ an die Hand geben, um gegen „moderne Formen der Kriminalität“ vorgehen zu können. Allerdings lässt die Verordnung viel Raum für Spekulationen, nach denen auch das ärztliche Berufsgeheimnis gefährdet sein könnte. Laut Ärztlichem Nachrichtendienst (änd) bringt es die KBV auf den Punkt, indem sie verlauten lässt: „Wir hoffen, dass Parlament und Rat hier noch zu einer Einigung finden, die dem deutschen Datenschutz und der ärztlichen Schweigepflicht entspricht“. Andernfalls, so zitiert der änd weiter, sei in Deutschland nicht nur die ePA in Gefahr, „sondern die Digitalisierung insgesamt”.
Dr. Silke Lüder ging für die Freie Ärzteschaft (FÄ) ins Detail und erklärte: „Da alle ärztlichen Daten in Deutschland künftig in Form von elektronischen Patientenakten (ePA) bei IT-Firmen in der Cloud gespeichert werden sollen, sind auch sie nicht mehr vor der Ausforschung durch andere Staaten geschützt. Die ärztliche Schweigepflicht ist dann nur noch Makulatur, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung damit ebenfalls.“ Und das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk (DPNW) sieht durch die Verordnung die ärztliche Schweigepflicht bedroht und hat eine entsprechende Petition gegen die Herausgabe von Daten initiiert: https://dpnw.de/
Sicherlich darf man davon ausgehen, dass diese Verordnung mit dem nichtssagenden Namen „E-Evidence-Verordnung“ und dem gehaltvollen Inhalt trotz aller Bedenken in nahezu unveränderter Form in Kraft treten wird.
Dr. Michael Loewener
Wedemark
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