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Grüße vom Zeitgeist – Identitätsproblematiker*innen und Sprachexorzisten

22. Juli 2021 7:56

Sie haben eines gemein. Sie wollen als Minderheit einer Mehrheit ein schlechtes Gewissen machen. Mehr noch, sie versuchen, diese in eine Schuldnerrolle zu drängen, um selbst im hellen Licht der Aufgeklärtheit und der Gerechtigkeit nach eigenem Zuschnitt zu erstrahlen.

Gendergerechtigkeit und Antirassismus belegen die Schlagzeilen in einer Zeit, in der die Politik den Schlüssel für drängende Zukunftsentscheidungen nicht finden kann. Während Feuer- und Wasserkatastrophen in diesem Jahr unmissverständlich anzeigen, dass Wirtschaftswachstum und ungebremster Kapitalismus mit seinem Streben nach Gewinnmaximierung einer Einfriedung bedürfen, gibt es Menschen und „Menschinnen“, die einen Geschlechterkampf inszenieren, den wir längst überwunden geglaubt hatten.  Unterschiede der Geschlechter, die das Leben eigentlich angenehm und interessant machen, werden krampfhaft verwischt, und außergewöhnliche Lebensformen werden nicht minder krampfhaft auf allen Kanälen in den Vordergrund gerückt. Das Wort „Gerechtigkeit“ erfährt dieser Tage eine Verzerrung und wird zum Druckmittel zur Durchsetzung eigener Vorstellungen. Gleichzeitig geraten wesentliche Teile einer „Gendergerechtigkeit“ wie die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Leistung in den Hintergrund.

Nicht genug mit dem Anspruch von „Identitätsproblematiker:Innen“. Nun betritt auch eine selbstgerechte Sprachpolizei die Bühne. Sie entdeckt angebliche Missstände und rassistische Vorurteile in allen Lebensbereichen, denen man mit Bann und Tabuisierung begegnen müsse. Das Sagbare soll begrenzt und der Sprache eine politische Lenkungsfunktion zugesprochen werden. Neuester Vorwurf: Das Wort „Schwarzfahrer“ diskriminiere schwarze Menschen (besser Menschen mit dunkler Hautfarbe). Dieser gedanklichen Überstreckung fühlen sich die Verkehrsbetriebe in Hannover verpflichtet; denn in ihrer Sprachregelung gibt es ab sofort keine „Schwarzfahrer“ mehr, sondern nur noch „Personen ohne gültigen Fahrschein“. Nicht minder furchtsam scheint ein bekannter Keksfabrikant in Hannover zu sein, der sein bekanntes Produkt mit dem Namen „Afrika“ vorauseilend umbenannt hat, um den Umsatz nicht zu gefährden. Gleichzeitig geht jenen Gutmenschen (nicht zu verwechseln mit guten Menschen) das Wort vom „alten weißen Mann“ leichtfertig über die Lippen – eine doppelte Diskriminierung.

Ja, sind wir denn noch alle bei Sinnen, fragt sich der Bürger Simplex? Wird der Rassismusvorwurf auch demnächst denjenigen zuteil, die beim Bäcker oder bei dem/der Bäcker*in ein Schwarzbrot verlangen? Wobei mir der Gedanke kommt, dass bei fortgesetzten Apartheitsgedanken auch das unschuldige „Weißbrot“ irgendwann in den Fokus geraten könnte. Wie verhält es sich zukünftig mit der „Schwarzarbeit“. Oder mit dem „Schwarzgeld“? Ganz zu schweigen von den „schwarzen Kassen“. Die Wandlung vom „Schwarzen Brett“ zum Whiteboard hingegen dürfte den sprachlichen Ordnungshütern gefallen.

Haben die Heroen des Antirassismus noch nicht die Farbe „rot“ auf dem Zettel? Schließlich liest man immer noch das Wort von der „Rothaut“ in der Literatur. Es gibt noch viel zu tun für Sprachexorzisten!

Nicht nur Worte, sondern auch Verhaltensweisen unterliegen inzwischen dem Bemühen um „Political Correctness“. So steht der inzwischen gebräuchliche Begriff „Cancel Culture“ (Absage-, Lösch- oder Zensurkultur) für das Bemühen, vermeintliches Fehlverhalten oder diskriminierende Aussagen öffentlich zu ächten. Eine Bewegung, die ihren Weg aus den USA und Kanada nach Europa gefunden hat und der im Kern die Unterdrückung unpopulärer Meinungen und angeblich politisch unkorrekten Verhaltens an Universitäten und in sozialen Medien vorgeworfen wird. Eine selbstgefällige Entwicklung auf dem Weg zur gedanklichen Einschränkung und zur Selbstzensur.

Erst kürzlich hat die Stadt Hannover den Vortrag des renommierten Historikers Prof. Dr. Helmut Bley unter dem Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanern und Afrikanerinnen her denken“ gecancelt, weil eine Initiative der Ansicht war, dass ein „weißer Mann“ nicht erklären könne, wie man Geschichte von Afrikanerinnen und Afrikanern her denkt. „Eine massive Zensurbewegung, die nur Betroffene für berechtigt hält, über ein Problem zu sprechen“, kommentierte Bley den Vorgang.  https://verqueert.de/prof-dr-helmut-bley-und-die-cancel-culture-oder-wie-kann-kritik-wahrgenommen-werden-und-auseinandersetzung-stattfinden/

Insgesamt sehe ich ziemlich schwarz für unsere Sprache – zumindest aber dunkelgrau – wenn sie zum Spielball der Selbstgerechten und zum Pseudopolitikum wird! Die Diskussion um Begriffe lohnt sich immer – aber bitte ohne den Anspruch der Bevormundung.

Das schöne an dieser Entwicklung ist jedoch, dass man (noch) nicht gezwungen ist, diesen ganzen Blödsinn mitzumachen. Nur Mut!

Dr. Michael Loewener                                                                                                                                                                                                                                                         Wedemark

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