Herr Mieves will nach oben.

Wer kommt nach Lauterbachs Abgang?

Vermutlich haben Sie den Namen des jungen Abgeordneten noch nie gehört, aber Sie sollten ihn sich merken. Hier wächst ein 38-jähriger sehr dynamischer Parlamentarier (MdB) heran, der nicht nur die gesamte Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit beherrscht (vom Vorlesetag in der Grundschuld über Backrezepte auf seiner Homepage bis hin zu Reden im Bundestag), sondern in der Gesundheitspolitik aktiv mitmischen möchte. Kurz zu seiner Person: Diplomkaufmann und Mitbegründer und Miteigentümer des Akutpflegedienstes „sanabene GmbH“, Mitglied im 42-köpfigen Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages und Mitglied im Ausschuss für Digitales.

Die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft im Digitalausschuss bringt Matthias Mieves durch seine Tätigkeiten bei der Deutschen Telekom mit, in deren Dienst er von 2011 bis 2021(Head of Innovation Portfolio & Investment Management, Deutsche Telekom AG) eine steile Karriere absolviert hat.

Er ist Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und seit 2022 stellvertretender Sprecher der „Arbeitsgruppe Gesundheit“. Und als solcher gibt er im Bundestag seinen Gedanken freien Lauf.

Und was möchte uns Herr Mieves als digitalaffiner SPD-Politiker aktuell erzählen?  Z. B. in einem Online-Pressegespräch, dass Sanktionen für die übergroße Mehrheit der Praxen „überhaupt kein Thema“ seien. Er sei vielmehr davon überzeugt, dass man Sanktionsmechanismen bei absoluter Verweigerungshaltung grundsätzlich brauche. Aus dieser Einschätzung lässt sich ableiten, dass Herr Mieves zwar ein gefestigtes Weltbild sozialdemokratischer Gesundheitspolitik besitzt, jedoch offenbar kaum Verbindungen zu denjenigen, die seine politischen Ideen direkt betreffen. Wer sich beispielswese beim Ärztenachrichtendienst (änd) umschaut, dem begegnen genügend Kommentare der Betroffenen, die aus der Praxis heraus ungeschminkt Antworten auf die theoretischen Einlassungen von Herrn Mieves geben

Herr Mieves möchte nach oben, und zwar ziemlich schnell. Es lässt sich absehen, dass der gegenwärtige Bundesgesundheitsminister, der sich nach Kräften bemüht, das deutsche Gesundheitssystem schlechtzureden und es gleichzeitig auf das Niveau eines NHS zu bringen, einen Nachfolger benötigen wird. Dann wird sich eine echte Chance für den zugegebenermaßen fleißigen Herrn Mieves ergeben, sofern seine Partei die Zweistelligkeit erreichen würde. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sich an der planwirtschaftlichen Grundausrichtung des Hauses unter SPD-Führung etwas ändern würde. Jede Ideologie ist immer resistent gegenüber dem realen Leben: Ein planwirtschaftliches „Backend“ mit marktwirtschaftlich strukturiertem „Frontend“ kann unter keiner Führung langfristig Bestand haben – weder unter einer CDU-, noch unter einer SPD-Führung!

Dr. Michael Loewener, Wedemark

Neues aus Demagogistan

GKV-Spitzenverband:  Neid als Argumentationshilfe

Wie der Ärztenachrichtendienst (änd) meldet, habe sich der GKV-Spitzenverband zu den jüngsten Ärzteprotesten geäußert und sein Unverständnis in einer eigenen Pressemeldung unter dem Titel „Schwer verständlich“ zum Ausdruck gebracht.  Die Leidtragenden der Aktion seien mal wieder die Patientinnen und Patienten, resümiert demnach der eloquente GKV-Pressesprecher. Zielsicher greift er dabei in die untere Schublande und spendet sich selbst Beifall:

 „Es ist keine drei Wochen her, da haben sich Ärzteschaft und Krankenkassen auf ein Honorarplus von 1,6 Milliarden Euro verständigt, was am Ende aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten bezahlt werden muss. Und heute stehen diese Versicherten als Patientinnen und Patienten vor verschlossenen Türen, weil die Ärzteverbände jetzt noch weitergehende Forderungen haben“.

Und in den (a)sozialen Medien legt er bei X nach, indem er die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Reinertrag der Vertragsarztpraxen zitiert und den Retter der Enterbten gibt:

 „Schon krass: Am 13.09. haben sich @kbv4u & @GKV_SV einstimmig auf 1,6 Milliarden (!) € mehr Honorar für die niedergelassen Ärzt-/innen verständigt – drei Wochen später streiken die für mehr Honorar. Info: durchschnittlicher Reinertrag von 237.000 € pro Praxisinhaber (destatis)“.

Natürlich ist Bürger Simplex empört, wenn die Weißkittel so viel Geld zusätzlich erhalten – vor allem dann, wenn man ihm nicht erzählt, dass mit diesem Betrag nicht einmal die Mehrkosten der Inflation aufgefangen werden.

Will sagen: Die bekommen den Hals nicht voll!

Neid war immer schon ein probates Mittel, um Menschen ungeachtet jeder sachlichen Argumentation gegeneinander aufzuhetzen, um die eigenen Absichten dahinter zu verstecken. So entstehen nicht nur Kriege, sondern auch endlose Gegnerschaft mit unguten Auswirkungen für ein funktionierendes Zusammenwirken von ehemaligen Vertragspartnern. Eine nicht nur flache, sondern auch gefährliche Verfahrensweise, wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung und um einen fairen und gerechten Interessenausgleich geht. Dabei hätte die GKV allen Grund, sich am Protest der Vertragspartner zu beteiligen. Schließlich hat ihr die Politik unglaublich viele versicherungsfremde Leistungen aufgebürdet und zusätzlich Kosten für eine in Teilen dysfunktionale Telematik-Infrastruktur.

Und nun zu den Fakten, die dem GKV-Sprecher selbstverständlich bekannt sind:

Das Statistische Bundesamt (destatis) beziffert den durchschnittlichen Reinertrag einer Arztpraxis– also den Ertrag nach Abzug der Kosten für Miete, Personalkosten, Materialkosten, Praxisversicherungen usw. auf 233.000 € jährlich (Medianwert). 1*)

Der GKV-Pressesprecher spekuliert in seiner Rhetorik darauf, dass Bürger Simplex sein durchschnittliches Monatseinkommen in Höhe von 3.521 € brutto (in Vollzeit mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung – „destatis“) mit dem eines niedergelassenen Arztes vergleicht und dabei Neidgefühle aufkommen. Und wenn nun ausgerechnet diese „Spitzenverdiener“, als die Ärzte gerne denunziert werden, „noch“ mehr haben möchten, dann hat der Spitzenverband sein Ziel erreicht und den Boden für anstehende Vertragsverhandlungen bereitet.

Bereits am 04. September 23 hatte der GKV-Spitzenverband seine Kampagne in einer Pressemitteilung vorbereitet, indem es dort unter der Überschrift „Ertrag ärztlicher Praxen weiter gestiegen“ heißt:

„Die wirtschaftliche Situation der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland war auch im Jahr 2021 sehr gut. Das zeigen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes zu deren Reinertrag. Demnach haben Praxisinhaberinnen und-inhaber 2021 im Durchschnitt jeweils einen Reinertrag von 237.000 Euro erwirtschaften können, monatlich somit 19.700 Euro.“

Diese Mitteilung ist, wenn man es wohlwollend formulieren möchte, inkorrekt – volkstümlicher wohl eher eine „Volksverdummung“. Das Statistische Bundesamt spricht in seinem Zahlenwerk von „Praxen“ und nicht von „Praxisinhabern“.

Den Begriff „Praxis“ mit „Praxisinhaber“ gleichzusetzen, ist zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar beabsichtigt. Auch dem Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes sollte bekannt sein, dass sich unter dem Begriff „Praxis“ allzu oft mehrere gleichberechtigte und zur kassenärztlichen Versorgung zugelassene „Praxisinhaber“ unter dem Konstrukt von Praxis-Gemeinschaften u. ä. zusammengeschlossen haben.

Dazu einige Zahlen:

Im Jahr 2021 waren in Deutschland bei den Landesärztekammern insgesamt 416.120 berufstätige Ärztinnen und Ärzte gemeldet.

In den insgesamt 99.658 ärztlichen Praxen in Deutschland nahmen 185.298 Ärzte und Psychotherapeuten an der vertragsärztlichen Versorgung teil. 2*)

Laut Statistischem Bundesamt (destatis) erwirtschaftet jede ärztliche Praxis 2021 durchschnittlich einen jährlichen Reingewinn von 233.000.-€. Wenn nun der Eindruck erweckt wird (oder werden soll), dass jeder Arzt im Durchschnitt einen jährlichen Reingewinn von 233.000,- € nach Hause schleppt, so ist das bestenfalls unredlich. Folgt man der korrekten Definition, so erwirtschaftet jeder einzelne Vertragsarzt einen durchschnittlichen Reingewinn in Höhe von rund 126.000,- €. 3*) Natürlich ist das ein Wert, der das Neidpotential bedrohlich einschmelzen lässt und insofern nicht zum Kalkül des GKV-Pressesprechers passt. Und wenn man schließlich von diesem Betrag die vollständigen Beiträge für die Alterssicherung, Krankenversicherung, privaten Versicherungsschutz und Rücklagen für praxisbedingte Neuanschaffungen abzieht, bleibt angesichts der Ausbildung, Verantwortung und Arbeitsbelastung im ärztlichen Beruf ein relativ überschaubarer, aber in jedem Fall angemessener Restbetrag für die Lebensführung. Kein Wunder also, dass sich Ärzte nicht weiter mit falschem Zahlenmaterial öffentlich am Nasenring durch die Manege führen lassen möchten. Leider greift die Presse gerne und undifferenziert auf skandalträchtige Meldungen zurück, so dass eine differenzierte Betrachtung des angebotenen Zahlenwerkes eine Seltenheit ist.

In der Gesamtschau der gegenwärtigen Protestbewegungen wird es nicht reichen, einen Brückentag zum Protest zu nutzen. Es wird schmerzhafter für alle Beteiligten werden müssen, ehe die Politik begreifen wird, dass die Reise in Richtung Barfußmedizin mit Leistungseinschränkungen für die Patienten geht. Auch der Gesundheitsökonom Lauterbach wird früher oder später einsehen müssen, dass es in einer budgetierten Kantine nicht „all-you-can-eat“ oder auf Dauer gegrillte Hummerschwänze mit Limettenbutter geben kann, sondern dass irgendwann Tagesssuppe mit Einlage der Standard wird.

Bedauerlicherweise haben auch die Patientenvertreter weder diese Gesetzmäßigkeit realisiert, noch die Tatsache, dass Ärzte nicht ihre Gegner sind, sondern allemal für den Erhalt der Gesundheit ihrer Patienten einstehen und protestieren. Offenbar sind die ideologischen Denkmuster in den Köpfen vieler Patientenvertreter so stark verhaftet, dass ihnen ein Umdenken unmöglich erscheint.                                                                                                                               Kommt Zeit – kommt Umdenken – wahrscheinlich zu spät!

Dr. Michael Loewener

Wedemark

1*) Statistisches Bundesamt:

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/08/PD23_346_52911.html

„Die durchschnittlichen Einnahmen je Arztpraxis einschließlich fachübergreifender BAG und MVZ lagen 2021 bei 756 000 Euro. Demgegenüber standen Aufwendungen von durchschnittlich 420 000 Euro. Aus der Differenz von Einnahmen und Aufwendungen ergibt sich ein durchschnittlicher Reinertrag von 336 000 Euro je Praxis. Diese Durchschnittswerte sind stark von Praxen mit sehr hohen Einnahmen und Aufwendungen beeinflusst: So verzeichnete die Hälfte aller Arztpraxen nur Einnahmen bis 464 000 Euro, Aufwendungen bis 226 000 Euro und damit einen Reinertrag von höchstens 233 000 Euro (Medianwerte).“

2*) Bundesarztregister der KBV:

https://www.kbv.de/media/sp/2022-12-31_BAR_Statistik.pdf

An der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (w/m/d) nach ihrem Teilnahmestatus (Zählung nach Personen).

3*) Die Zahlen können differieren, da die einzelnen Angaben nicht stichtagidentisch sind. Sie verdeutlichen aber den systematischen Fehler in der GKV-Berechnung.

In diesem Beitrag findet aus Gründen der besseren Lesbarkeit das „Generische Maskulinum“ Anwendung, so dass stets beide Geschlechter angesprochen werden.

Jetzt „ZÄHNE ZEIGEN!“

Wieder da: Die untoten Spitzenverdiener

Ein böser Kommentar von Dr. Michael Loewener

Sie sind wieder da, die untoten Spitzenverdiener der Nation, die tatsächlich Geld für ihre Arbeit haben wollen – die ihre Arbeit vollständig und angemessen bezahlt haben möchten. Wie pervers ist das denn? Schließlich verhandeln Notare auch fünf Fälle und liquidieren nur zwei, und Architekten rechnen regelmäßig nur die ersten fünf Stockwerke eines Hochhauses ab, egal wie hoch das Haus am Ende wird. Ach nein, das ist nicht so? Dann fragt man sich, wie es dazu kommen konnte, dass Zahnärzte freiwillig Verträge abschließen konnten, die, je nach Kassenlage der Krankenkassen im Rahmen von Budgetierungen unbegrenzte und notfalls honorarlose Leistungen einschließen und zudem mit allerlei Sanktionen geschmückt sind. Nach einem tiefen Griff in die Mottenkiste fand kürzlich der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes das „Schlagwort“ wieder, indem er feststellte: „Das macht Alarmrufe einer Gruppe, die nach wie vor zu den Spitzenverdienern gehört, noch weniger nachvollziehbar.“ Abgesehen von der Tatsache, dass ein Nettojahresgehalt von 78.000 Euro bereits ausreicht, um zu den bestverdienenden fünf Prozent in Deutschland zu gehören, soll die Wortwahl in dem gewählten Zusammenhang blanken Neid und Missgunst hervorrufen. Eine ebenso erbärmliche wie abgedroschene Argumentationshilfe zur Abwehr berechtigter Forderungen.

Das Statistische Jahrbuch der KZBV weist für das Jahr 2020 einen steuerlichen Einnahmeüberschuss je Praxis von 213.700,- € (32,3% der Gesamteinnahmen) aus.           Das entspricht einem steuerlichen Einnahme-Überschuss je Inhaber (arithmetisches Mittel)  in Höhe von 180.000,- €. Der Median liegt bei 150.600,-€, was in diesem Fall bedeutet, dass 60 % der Praxisinhaber unter dem arithmetischen Mittel liegen. Nun haben sich frei praktizierende Zahnärzte aus gutem Grund nicht für das Beamtentum mit seinen zweifelsfrei vorhandenen Vorteilen entschieden, sondern sind bewusst als Freiberufler tätig. Und das bedeutet, dass sie von ihrem Einnahme-Überschuss weitere Kosten abziehen müssen, bevor sie mehrfach im Jahr auf die Malediven fliegen können. Krankenversicherung (ohne Arbeitgeberanteil), Altersvorsorge, Versicherungen und nicht zuletzt Ansparungen für Investitionen sind von dem Einnahme-Überschuss abzuziehen. Ohne hier weiter ins Detail zu gehen und ohne den Versuch einer unnötigen Rechtfertigung eigener Einkommen sollen hier nur die Größenordnungen benannt werden. Schnell wird deutlich, dass das Einkommen von Zahnärzten in Deutschland angesichts der Ausbildung, der Tätigkeit und der Verantwortung und im Vergleich zu anderen akademischen Freiberuflern keinesfalls überproportional hoch ist.

Wie dem auch sei. Über viele Jahre mag das Finanzierungssystem über den BEMA funktioniert haben – nicht zuletzt aufgrund einer Mischkalkulation bei seinerzeit angemessenen Preisen. Die „goldenen Jahre“ der 70er eben. Jetzt funktioniert das nicht mehr. Und diese Entwicklung zeichnet sich immer dramatischer und vor allem beschleunigt ab. Nicht zufällig protestieren nunmehr ärztliche und zahnärztliche Fachangestellte ebenso wie das Krankenhaus- und Pflegepersonal sowie ambulant praktizierende Ärzte und Zahnärzte. Frühzeitige Praxisabgaben und Mangel an Nachfolgern insbesondere im ländlichen Bereich lassen am Horizont erkennen, wohin die Reise geht. Fachkundige und Aufmerksame sehen den vorgezeichneten Weg in die Barfußmedizin, während sich der zuständige Bundesminister durch die Medien lanzt und selbstverliebt an Gesundheitskiosken, einem aufwendigen eRezept, immer neuen Referenten-knebel-entwürfen, Gesetzestexten und einer Entwicklung hin zur Staatsmedizin bastelt. Der Großteil der Presse beobachtet derweil interessiert das Geschehen und wartet auf den Skandal, um rechtzeitig von der Medizinerschelte auf die Politikschelte umschalten zu können. Dann allerdings wird es zu spät sein, und das über Jahrzehnte aufgebaute und auch im internationalen Vergleich sehr gute deutsche Gesundheitssystem wird durch Zerstörung der gewachsenen Strukturen zu einem Experiment zerfallen sein.

Die Politik hat den Schuss immer noch nicht gehört, hatte man es sich doch kommod gemacht mit der Abwehr der „Spitzenverdiener“. Über Jahrzehnte konnte man unter Nutzung dieses stigmatisierenden Begriffs auf der Ärzteschaft beliebig und vor allem ohne Gegenwehr herumtrampeln und sich dazu noch profilieren.  Und solange der Protest nicht laut genug und schmerzhaft für alle Beteiligten ist, wird sich daran auch nichts ändern.

Ohne Schmerzen wird es auch nicht bei den Leistungserbringern abgehen, sind sie es doch nicht gewohnt, ihr Recht laut und ungeschminkt auf der Straße zu verkünden oder gar den eigenen Laden dicht zu machen. Viele werden sich auf den Protest der anderen verlassen und stattdessen Punkte machen. Das ist der Scheidepunkt. Bisher war von Solidarität nicht viel zu spüren. Ohne Solidarität wird es aber nicht funktionieren. Bedauerlicherweise werden am Ende diejenigen überleben, die gut „rechnen“ können. Kein gutes Omen für Patientinnen und Patienten!

Wir dürfen nun wirklich gespannt sein, wie deutlich der Protest gegen Ungerechtigkeit, Denunziation und Lohndrückerei ausgehen wird.

Machen Sie mit und zeigen Sie zusammen mit ihrem Team Präsenz am 13. September ab 15:00 Uhr vor dem niedersächsischen Landtagsgebäude – oder bleiben Sie zu Hause, bohren Sie weiter und seien Sie zufrieden mit dem, was da auf Sie zukommt. Dann dürfen Sie aber auch nicht klagen!

Während über Jahrzehnte Landwirtschaftsminister und „innen“ stets „Freunde und Wegbereiter“ der Landwirte waren, musste man den Eindruck gewinnen, dass Gesundheitsminister und „innen“ ihre Aufgabe in erster Linie darin sahen und sehen, ärztliche Leistungserbringer klein zu halten, zu bevormunden, zu reglementieren, zu denunzieren (schlechte Medizin und hohe Kosten) und schließlich zu sanktionieren (Telematikinfrastruktur) – kurzum, die zum Mantra erhobene  Kostendämpfungspolitik zu Lasten und Kosten der Leistungserbringer per Dauergesetzgebung durchzusetzen.

Während Lauterbach im ambulanten Bereich mit der Abbruchbirne unterwegs ist, beschäftigt er sich konstruktiv mit dem eRezept, der elektronischen Patientenakte (ePA), Gesundheitskiosken und neuen Gesetzen, wie beispielsweise dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und dem Digital-Gesetz (DigiG). Zur selben Zeit wird die Permakrise in der Versorgung durch Budgetierungen angeheizt und vom Gesundheitsökonomen offenbar nicht wahrgenommen. Alarmstimmung überall!

Betten und damit Krankenhäuser werden abgebaut. Und damit dem gemeinen Bürger die Abbrucharbeiten nicht auffallen, erklärt er sie mit einer Verbesserung der Leistungen in übergeordneten Zentren. Richtig! Aber wer versorgt den Verunfallten und die Hochschwangeren zukünftig notfallmäßig im näheren Umkreis? Zwischenzeitlich gilt es als normal, dass Krankenhäuser Gewinne machen sollen – welch krudes Gedankengut für die Befriedigung von Grundbedürfnissen. Demnach müsste sich die Feuerwehr aus dm Brandaufkommen oder die Polizei aus Bußgeldern refinanzieren. Gesundheit kostet Geld – und zwar richtig viel Geld. Man muss es dem Bürger nur klar sagen, dass der Politik die Gesundheit der Bürger zwar lieb, aber zu teuer ist. Da mag es der Politik sinnvoller erscheinen, der Automobilindustrie durch Prämien die Gewinnmargen zu erhalten und der Energiewirtschaft das Preismonopol zu belassen. Schließlich muss es „der Wirtschaft“ gut gehen. Apropos Wirtschaft: Die Medizin“industrie“ beschäftigt zusammen mit ihrem Umfeld ebenso viele Menschen wie das goldene Kalb Automobilindustrie, nämlich rund 450.000 Arbeitnehmer.

Der Ärztenachrichtendienst (änd) meldete am 08.08., dass eine große Mehrheit der befragten änd-Mitglieder konzertierte Praxisschließungen für eine angemessene Protestform hält und 72 % „mitmachen würden“. Zudem wollen bei einem Krisentreffen am 18. August in Berlin Kassenärztliche Bundesvereinigung und Verbände „gemeinsam die Stimmen erheben“, ein Signal an die Politik senden und sich abstimmen, wie sich der Unmut in den Praxen kanalisieren lässt. Wir dürfen gespannt sein.

Und noch ein Ergebnis aus der Umfrage des änd zur Frage eines Schulterschlusses mit Apothekern und Zahnärzten. Demnach „plädiert die große Mehrheit der Befragten (74 %) dafür, dass sich die Vertragsärzte für ihren Protest mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zusammentun: Schließlich seien auch Zahnärzte, MFA und Apotheker von der aktuellen Gesundheitspolitik betroffen, und gemeinsam lasse sich eine größere öffentliche Aufmerksamkeit erreichen. 26 Prozent dagegen halten eine solche Zusammenarbeit für unnötig“.

Daher:    „ZÄHNE ZEIGEN!”

13. September 2023 von 15-18 Uhr Gemeinsame Protestveranstaltung                       von KZVN, ZKN, ZfN und FVDZ    inHannover vor dem Niedersächsischen Landtag,  Platz der Göttinger Sieben) (polizeiliche Anmeldung liegt vor)             

Bitte glauben Sie nicht, dass es ausreicht, wenn andere an der gemeinsamen Protestveranstaltung am 13. September in Hannover teilnehmen werden. Es sei denn, dass Sie mit Sicherheit nicht zu den rund 44 % (!) der niedersächsischen Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte zählen, die aktuell von rückwirkenden Honorarkürzungen betroffen sein werden.

44% der niedersächsischen Kolleginnen und Kollegen drohen aktuell Honorarkürzungen in Höhe von durchschnittlich 38.000,- €!

Die Vertreterversammlung (VV) der KZVN hatte die Anwendung des Honorarverteilungsmaßstabes beschließen müssen, nachdem durch das Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) die strikte Budgetierung erneut eingeführt wurde. Jetzt möchten einige Krankenkassen diesen für Zahnärzte und Patienten unhaltbaren Zustand in Verhandlungen durch die Forderung von Nullrunden toppen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es den versammelten Gesundheitsdienstleistern bei dieser Lagebeschreibung nicht gelingen sollte, was jeder Wald- und Wiesen-Gewerkschaft mühelos gelingt, dann haben Zahnärzte sowie ihre Patienten für sehr lange Zeit verloren, und, das muss man wohl sagen, dann auch zu Recht.

…………………………………………………………………………………………….

Umfangreiches Material zu der Kampagne „ZÄHNE ZEIGEN“ können Sie auf der Kampagnen-Website der KZBV unter zaehnezeigen.info oder auf der KZVN-Homepage unter     https://www.kzvn.de/die-kzvn/kampagne-zaehne-zeigen.html abrufen.

Journalismus oder Agitation? „Vorsicht – Ihr Arzt könnte Sie betrügen!“

Wir lesen in der „Wirtschaftswoche“ vom 05.01.2023 auf Seite 30 als Überschrift: „Vorsicht – Ihr Arzt könnte Sie betrügen!“ Ja, liebe Leserin und lieber Leser, das mag wahr sein, aber mit gleicher Qualitätsanmutung ließe sich auch feststellen: „Vorsicht – Ihr Periodikum könnte Sie belügen!“

Gleich zu Beginn ihrer ebenso umfangreichen wie mangelhaft recherchierten Klageschrift kann die Autorin der „Wirtschaftswoche“ das Wasser nicht halten und weiß zu berichten, dass Ärzte, Pflegedienste und Physiotherapeuten „das Gesundheitssystem mit falschen Ab-
rechnungen um viele Milliarden“ zu Lasten der Beitragszahler erleichtern. Und es folgt die frohe Botschaft, dass nach einem „Rezept aus Bayern“ nun ermittelt werden solle. Schließlich seien die „zahlenden Patienten“ alle „willenlos und unmündig“. Und dann offenbart die Autorin, dass (in dem herrschenden anonymen Sachleistungssystem) gesetzlich Versicherte die Rechnungen meist „gar nicht erst zu Gesicht“ bekämen. In der Tat ist das ein großer und auch von Zahnärzten und Ärzten stets beklagter Mangel; denn andernfalls könnten Patienten auf diese Weise erfahren, dass eine einfache Zahnfüllung von den Kassen mit 38,13 € honoriert wird. Mit 11,98 € ist die Honorierung zum Einfachsatz nach der für Privatversicherte geltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) noch geringer. Erst mit dem 3,2-fachen Steigerungssatz der GOZ wird in etwa das Kassen-Honorar erreicht.

Und dann jongliert die Autorin leichtfertig mit Zahlen, wenn sie fabuliert: „Ärztinnen und Ärzte, Pflegedienste und Physiotherapeuten bereichern sich mit falschen Abrechnungen jedes Jahr um Tausende Euro; die Beträge dürften sich zu einem Milliardenschaden für das Gesundheitssystem summieren – zulasten der Beitragszahler“. Später versteigt sich die „Journalistin“ sogar zu einer möglichen Schadensumme durch Betrug im deutschen Gesundheitssystem in Höhe von 28 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis käme eine „Dunkelfeldstudie der britischen Universität Portsmouth“, lässt uns die Autorin wissen. In der Tat spielt sich die Rechenkunst der Autorin in tiefer Dunkelheit ab; denn diese „Studie“ bezieht sich auf Britannien, wie sie selbst erwähnt. Der Einfachheit halber wird sie kurzerhand auf Deutschland extrapoliert. Sorgsame Recherche sieht anders aus!

Rechnen wir einmal nach: In Deutschland waren im Jahr 2021 insgesamt 416.120 berufstätige Ärztinnen und Ärzte sowie 72.592 Zahnärztinnen und Zahnärzte aktiv tätig (davon 50.022 in eigener Praxis niedergelassen und 22.570 in einem Angestelltenverhältnis in Praxen, MVZs oder anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens). Die Anzahl der zugelassenen Heilmittelerbringer/Praxen im Bereich Physiotherapie lag 2019 bei 38.785. Im Jahr 2021 wurden deutschlandweit 16.115 Pflegeheime und 15.376 ambulante Pflegedienste gezählt. Es verlangt nicht nach hoher Rechenkunst, um herauszufinden, dass aufgrund dieses „Zahlenmaterials“ jeder einzelne Mediziner, Physiotherapeut, ambulanter Pflegedienst und jedes Pflegeheim in diesem Land durchschnittlich einen statistischen Betrugsschaden von rund 50.000,- € verursacht haben müsste. Ein Sumpf des Betruges unter Führung der Ärzteschaft – oder eine Journalistin mit Dyskalkulie?

Im Jahr 2021 lagen die Ausgaben der GKV bei 285,0 Milliarden Euro, dabei beliefen sich die reinen Leistungsausgaben auf rund 263,4 Milliarden Euro, davon alleine für den Krankenhaussektor 85,9 Milliarden €. Die gesetzlichen Krankenkassen gaben im Jahr 2021 lt. GKV-Spitzenverband insgesamt für ärztliche Behandlung 44,78 Milliarden € (17 % aller Leistungsbereiche) und für zahnärztliche Behandlung (ohne Zahnersatz) 12,39 Milliarden € (4,71 % aller Leistungsbereiche) aus.

https://www.gkv-spitzenverband.de/service/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp

Zudem werde, so die Autorin des Handelsblattes, „die notorische Intransparenz des ärztlichen Abrechnungswesens auch noch mit stetig steigenden Sätzen finanzieren“. Die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) kann sie nicht gemeint haben; denn diese „feiert“ in dieser Zeit gerade ihre 35-jährige (fünfunddreißigjährige) Stagnation. Um es noch verständlicher auszudrücken: Seit 35 Jahren hat es keine Punktwertsteigerung bei Zahnärztinnen und Zahnärzten in der privaten Gebührenordnung gegeben! Dieser Umstand ist offenbar so unglaublich, dass er nicht in das Bewusstsein von Zeitungsmachern vorzudringen vermag. Das kennen wir, und insofern kann uns das auch nicht überraschen – lediglich das Ausmaß an Unwissenheit oder gar der bösen Absicht ist in diesem Fall außergewöhnlich.

Die sorglose Recherche des Beitrages der „Wirtschaftswoche“ und der Tenor der Mutmaßungen zielt offensichtlich darauf ab, das gewachsene und von Vielen geneidete Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten zu zerstören. Über die wahren und möglicherweise vielfältigen Beweggründe für dieses journalistische Traktat darf sich jeder selbst seine Gedanken machen. Ob die Redaktion der „Wirtschaftswoche“ ihre Leserschaft auf dem Niveau der Yellow-Press suchen möchte, muss sie selbst entscheiden.

Dr. Michael Loewener, Wedemark